SPD vermisst den Aufbruch

SPD-Parteichef Peter Strieder bekommt die Unzufriedenheit und den Frust der Parteibasis zu spüren. Stefan Grönebaum, der beim Parteitag als linker Gegenkandidat antritt, gelingt Überraschungserfolg

von DOROTHEE WINDEN

An der SPD-Basis machen sich Unzufriedenheit und Frustration breit. Von dem viel beschworenen Aufbruch der Partei ist neun Monate nach der verheerenden Wahlniederlage bei der Abgeordnetenhauswahl nichts zu spüren. Der Vorsatz, dass die SPD wieder ein eigenständigeres Profil entwickeln will, ist noch nicht eingelöst – stattdessen neue Zumutungen von den eigenen Senatoren. Die Bildungspolitik von Schulsenator Klaus Böger stößt vielen Genossen auf, und der geplante Verkauf von mindestens einer Wohnungsbaugesellschaft liegt ihnen schwer im Magen.

Das neue Leitbild der SPD, das Strieder entwickeln will, hat noch keine Konturen. Stattdessen ließ die Parteiführung vor kurzem bei stadtweiten Infoständen ein Flugblatt verteilen, das die Sanierung des maroden Landeshaushalts und den drastischen Abbau von Krankenhausbetten als sozialdemokratische Glanzleistungen zu verkaufen versuchte. Den Tiergartener Genossen platzte da der Kragen. Das Flugblatt verstieß nicht nur gegen die längst gewonnene Erkenntnis, dass sich die SPD nicht mit Negativthemen profilieren kann. In dem Bezirk Tiergarten, der sich erbittert gegen die Schließung des Krankenhauses Moabit wehrt, wäre das Flugblatt kontraproduktiv gewesen, sagt Andreas Pape, der frühere SPD-Kreisvorsitzende von Tiergarten. „Viele haben sich geweigert, das zu verteilen.“

Die latente Unzufriedenheit der Basis fand am Dienstag abend ein Ventil. Die Delegierten von Wedding/Tiergarten und Mitte ließen Parteichef Peter Strieder, der sich bei einem Landesparteitag am 15. Juli der Wiederwahl stellt, durchfallen. Nominiert wurde der Strieder-Herausforderer Stefan Grönebaum, ein Parteilinker, der als Außenseiterkandidat gilt. Der Überraschungssieger gewann deutlich mit 50:13 Stimmen.

Dabei war zu Beginn des Abends die Ausgangslage „noch offen“, wie Pape schildert. Doch der 38-jährige Grönebaum traf mit seiner Rede die Befindlichkeit der Delegierten besser. Er sprach vor allem den 40 Prozent der Parteimitglieder aus dem Herzen, die gegen eine Neuauflage der Großen Koalition waren. Grönebaum bot sich als Kandidat an, der die SPD wieder als eigenständige Kraft profiliert. Strieder gelang es hingegen nicht, die Delegierten davon zu überzeugen, dass er dies in der Doppelfunktion als Parteichef und Stadtentwicklungssenator leisten könne.

„Das Ergebnis sollte Strieder zu denken geben“, sagte ein Genosse gestern. Zwar ist seine Wiederwahl beim Parteitag nicht ernsthaft gefährdet, doch das Votum ist ein Warnschuss.

„Die Kritik gilt weniger der Person Peter Strieders als dem Gesamtkonzept“, analysierte Michael Müller, Kreisvorsitzender von Tempelhof/Schöneberg. „Es fehlt an Aufbruch und Erneuerung.“ Das spiegelt sich auch in der Kandidatenlage für die vier Stellvertreter des Parteivorsitzenden. Christine Bergmann, Bundesfamilienministerin und Galionsfigur-Ost kandidiert erneut, ebenso der Gewerkschafter Hermann Borghorst. Beide sind verdiente und geschätzte Genossen. „Aber das ist kein Zeichen von Aufbruch“, meint Andreas Pape. Als dritte Kandidatin mit guten Wahlchancen gilt die frühere Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Bleibt noch ein Platz für die Erneuerung, den die Jungen gerne mit einem der Ihren besetzen wollen. Doch genau hier klemmt es: Strieders Wunschkandidat, der frühere Juso-Chef Matthias Linnekugel, will nicht. Der zweite potenzielle Kandidat, der frühere Kreuzberger Kreisvorsitzende Andreas Matthae, passt Strieder nicht.

In den nächsten zwei Wochen will Strieder sein Personaltableau vorstellen. Der junge Spandauer Kreischef Swen Schulz mahnt sanft: „Ein klein wenig Erneuerung muss sein.“