Keine Tränen, keine Regung

Titelverteidiger Andre Agassi ist momentan nur noch „ein Schatten seiner selbst“ und scheidet kommentarlos bei den French Open aus. Anke Huber und Tommy Haas erreichen mühsam Runde 3

aus Paris KARL-WILHELM GÖTTE

Die Bilder vom Vorjahr haben wir noch vor Augen. Andre Agassi hatte nach seinem Finalsieg geweint. War überwältigt von einer Gefühlswoge. Diesmal: nichts. Keine Wutausbrüche, kein Jammern, nicht einmal ein wenig Verzweiflung konnte uns der US-Amerikaner vorleben. Kein Hilfe oder Trost suchender Blick in die Box zu Trainer Brad Gilbert oder zu „Tennis-Groupie Steffi Graf“, wie Martina Navratilova die Ex-Kollegin nennt.

Steffi Graf, anfangs noch entspannt mit Gilbert plaudernd, war zunehmend konsterniert. Immer wieder senkte sie den Kopf und vergrub sich hinter ihren Haaren. Der Titelverteidiger ergab sich klag- und völlig emotionslos seinem Schicksal. Agassi hatte kaum noch einen Ball richtig getroffen am Donnerstagabend, verlor 16 seiner letzten 17 Spiele gegen den Slowaken Karol Kucera. Und verschwand danach wortlos aus Paris. Die 10.000 Dollar Strafe, weil er sich der Presse verweigerte, wird der Multimillionär locker wegstecken. Angeblich peinigte ihn eine aufgeplatzte Blase am Fuß.

„Ein Schatten seiner selbst“, titelte die französische Sportzeitung L’Equipe zutreffend. Ein schwacher Abgang des Superstars, der „sich besser fühlte als 1999“ und wie einst Ivan Lendl, Jim Courier und zuletzt 1993/94 Sergi Bruguera seinen Titel erfolgreich verteidigen wollte.

Agassi raus, Sampras raus und Lindsay Davenport auch. Doch wo bei einem anderen Turnier die Luft raus ist, schaffen sich die Internationalen Französischen Meisterschaften neue Helden und Publikumslieblinge. Motto: Nicht die Spieler machen die Veranstaltung aus, sondern der Event macht die Spieler, zur Not kommt er auch ohne Stars aus. „Roland-Garros, die Maschine zum Gelddrucken“, beschreibt die Zeitung Hebdo national den kommerziellen Erfolg des Turniers. 1969 kamen 70.000 Zuschauer in den Bois de Boulogne, 1999 waren es 400.000. Bei Eintrittspreisen von 18 bis 105 Mark gibt dies allein die stolze Einnahme von 30 Millionen Mark. Mit dem Vielfachen aus TV-Rechten und der Vermarktung des Tennislogos „Roland-Garros auf Handtüchern, Kleidungsstücken aller Art, Kosmetika, Uhren etc. sind die French Open die mit Abstand finanzstärkste und profitabelste Sportveranstaltung in Frankreich – weit vor der Tour de France.

Auch dass Anna Kournikowa nicht mehr dabei ist, kann das Turnier verschmerzen. Seit vier Jahren zieht sie von Kontinent zu Kontinent und hat in ungefähr 70 Versuchen noch nie etwas gewonnen. In Paris stand der offenbar von der Konkurrenz ungeliebten Russin die Österreicherin Sylvia Plischke („viele Spielerinnen haben mir hinterher besonders gratuliert“) in Runde zwei im Wege. Trotzdem liegen die Sponsoren dem knapp 19-jährigen Golden Girl mit Millionen-Angeboten zu Füßen. Ihr Marktwert korrespondiert offenbar nicht mit ihrer Erfolglosigkeit.

Kurz vor dem Abgrund stand auch Tommy Haas. Sein Gegner, der Italiener Andrea Gaudenzi, servierte im 4. Satz zum Matchgewinn, doch Haas gewann den Durchgang noch und danach den 5. Satz überlegen. „Dass was geht, wenn man kämpft, ist ein gutes Gefühl“, sagte er danach lapidar und ohne spürbare innere Anteilnahme. Haas lächelt auch nach einem solchen Vierstundenmatch nicht. Verzieht keine Miene. Er redet, als ob er sich von sich selbst distanzieren muss. Ob es gegen den Russen Marat Safin, den High-Flyer der Saison, auch klappen würde? „Da muss ich mich vorher gut erholen“, bringt Haas noch über die Lippen.

Anke Huber, die letzte deutsche Tennisfrau von Paris, hat es da mit der Polin Magdalena Grzybowska vermeintlich leichter. Die 25-Jährige scheint im elften Jahr auf der Profitour zu alter Leichtigkeit zurückgefunden zu haben und gewinnt plötzlich enge Matches, die sie früher verlor. „Ich mache weniger Fitnessarbeit und spiele mehr Tennis im Training“, lächelt sie und scheint trotzdem ratlos, wie ihre überraschenden Erfolge neuerdings zustande kamen. 1993, damals noch 18, stand Anke Huber schon einmal im Halbfinale der Internationaux de France.