Der Schutz gegen Schurkenstaaten

Die beiden Varianten des RaketenabwehrsystemsNMD sind auch in den USA selbst heftig umstritten

WASHINGTON taz ■ Die „National Missile Defense“ (NMD) ist im Grunde eine Neuauflage der reaganschen „Star Wars“ – ganz, als wäre der Kalte Krieg nicht vorbei.

Ronald Reagan entwarf 1983 die Vision eines weltraumgestützten Raketenabwehrsystems durch Laserstrahlen. Reagans Projekt, das schon damals den ABM-Vertrag über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen in Frage gestellt hätte, wurde nie verwirklicht, verschlang gleichwohl 70 Mrd. Dollar Entwicklungskosten.

Die Wiederauferstehung von Star Wars geht auf einen vom früheren Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erstellten Report zurück. Er konstatierte 1998, dass Staaten wie Nordkorea, Iran und Irak in der Lage wären, Raketen zu entwickeln, die mit Massenvernichtungswaffen bestückt die USA erreichen könnten. „Es ist höchste Zeit, sich gegen eine reale Gefahr zu wappnen“, sagt Frank Gaffney vom Center for Security Policy. Seine Organisation unterhält im Internet eine Seite, auf der man eine US-Postleitzahl eintragen und dann erfahren kann, ob man hier eher von koreanischen, chinesischen oder iranischen Raketen bedroht ist (www.protectamericansnow.com).

Wie um Rumsfeld zu bestätigen, zündeten die Nordkoreaner wenige Monate nach Veröffentlichung seines Reports im August 1998 eine Zweistufenrakete, die über Japan hinwegflog und im Pazifik niederging. Nordkorea gab auch zu, Raketentechnik an den Iran zu verkaufen. Die USA aber müssten, so Gaffney, ihre militärische Handlungsfreiheit behalten und sich entsprechend gegen eine mögliche Raketendrohung auch kleinerer Mächte wehren können.

Welche NMD darf’s sein?

„Im Tiefsten sehnen sich die leidenschaftlichen Befürworter einer Raketenabwehr nach dem goldenen Zeitalter zurück, da Amerika unangreifbar und unverletzlich war“, so Joseph Cirincione von der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden. „Bei diesem Streit geht es im Kern darum, ob die USA tun und lassen können, was sie wollen, oder ob sie sich in internationale Rüstungskontrolle einbinden lassen. Der Hauptfeind steht für die NMD-Befürworter nicht in Nordkorea oder China, sondern im Lande.“

In Washington wird derzeit nicht diskutiert, ob eine Raketenabwehr gebaut wird, sondern welche. Während Clinton unter dem Druck der NMD-Befürworter eine Star-Wars-Light-Version mit 100 Raketen in Alaska bauen will, skizzierte der republikanischen Präsidentschaftskandidat George Bush jr. Ende Mai seine Vision für Rüstung und Abrüstung, die eine Land-, See- und letztlich weltraumgestützte Raketenabwehr nach reaganschem Vorbild vorsieht. Während Bush den ABM-Vertrag am liebsten ganz kündigen würde, will Clinton Putin für dessen Modifizierung gewinnen.

3 Gründe gegen Star Wars

NMD-Kritiker führen dreierlei gegen das Projekt an, das weitere 60 oder 120 Mrd. Dollar kosten soll – je nachdem ob Clintons oder Bushs Version verwirklicht wird. NMD sei erstens technisch nicht machbar, zweitens strategisch wertlos, weil Massenvernichtungswaffen durch Mittelstreckenraketen ins Ziel oder im Koffer eines Terroristen ins Land gebracht werden können, und drittens gefährlich, weil es ein Wettrüsten in Asien auslösen wird. Ein von der Los Angeles Times Ende Mai veröffentlichter „geheimdienstlicher Lagebericht“ des Geheimdienstes CIA befürchtet, dass China mit seinen nur 20 Interkontinentalraketen sein strategisches Potenzial entwertet sehen und entsprechend aufrüsten wird. Dem wird Indien nicht tatenlos zusehen, was wiederum Pakistan zur atomaren Rüstung verleiten wird.

Putin hat eigentlich wenig Anlass, irgendetwas mit Clinton zu verhandeln, hat der amerikanische Senat doch schon angekündigt, dass er kein Abkommen ratifizieren wird, das amerikanische NMD-Pläne in einen Abrüstungsvertrag einbinden wird. Putin kann gelassen zusehen, wie die Debatte innerhalb Amerikas die Menschen entzweit und einen Keil zwischen die USA und Europa treibt. „Sollten die USA unter einem Präsidenten Bush einseitig den ABM-Vertrag kündigen, könnte das das Ende transatlantischer Gemeinsamkeit sein. Danach dürfte es kein Kosovo und auch keine Nato-Erweiterung mehr geben“, sagt Cirincione. PETER TAUTFEST