: Lass mich dein Tätowierer sein
Nach neun Jahren waren die Böhsen Onkelz wieder einmal zu Besuch in Berlin. 18.000 Fans feierten in der Waldbühne – und freuten sich, trotz Hysterie und Hexenjagd dann doch nicht ganz allein auf der Welt zu sein: „Mit dieser Band hast du nicht viele Freunde, doch die, die du hast, teilen deine Träume“
von GERRIT BARTELS
Gar nicht so einfach, sich für das Konzert der Böhsen Onkelz am Freitagabend in der Waldbühne zu akkreditieren. Auf telefonische Anfrage beim Tourmanagement in Frankfurt heißt es, man wolle erst einmal prüfen, was die taz in letzter Zeit über die Band geschrieben habe, man melde sich dann wieder. Nach erfolgter „Überprüfung“ und der Bereitstellung zweier Pressekarten scheint Tourmanager Edmund Harsch jedoch am Nachmittag vor dem Konzert nicht ganz überzeugt davon zu sein, die richtige Entscheidung getroffen zu haben: Er bittet darum, nicht nach zwei Liedern schon wieder zu gehen, keine Vorurteile zu haben, objektiv mit den Jungs umzugehen und so weiter.
Es ist ein eigenartig zwiegespaltener Umgang, den die Böhsen Onkelz und ihr Umfeld mit den Medien pflegen. Er ist geprägt von Misstrauen, Unsicherheit und der Sehnsucht nach „Normalität“. Und wird geleitet von dem Wunsch, dass die Onkelz endlich wie eine x-beliebige Hardrock- oder Metalband behandelt werden – und akzepztiert werden als Band, die sich losgesagt hat von ihrer rechten Vergangenheit. Vom Saulus zum Paulus sozusagen, von „Türken raus“ zu „Rock gegen Rechts“.
Andererseits gefallen die Onkelz sich gut in der Rolle der Verfolgten und Missverstandenen, und es scheint, als seien ihre Vergangenheit und ihre Existenz am Rande der öffentlichen Wahrnehmung ihr Kapital, die Grundlage auch für die Zukunft.
Denn trotz fehlender Promotion und Airplay, trotz zum Teil immer noch bestehendem Boykott durch zahlreiche Musikgeschäfte: „Ein böses Märchen“ verkaufte sich bisher über 300.000mal und stand wochenlang an der Spitze der deutschen Charts, von den Onkelz in einem Song so kommentiert: „Hysterie und Hexenjagd und trotzdem Nummer eins“. Nicht minder erfolgreich die Deutschland-Tour der Band, bei der sie in durchweg ausverkauften, großen Hallen spielten und eine Location wie die Waldbühne mit ihrem Fassungsvermögen von 18.000 Plätzen schon Monate im Voraus ausverkauften.
Was dort sofort auffällt: Mindestens jeder Zweite aus dem überwiegend männlichen und zwischen 25 und 35 Jahre alten Publikum trägt ein Onkelz-Shirt. Herrscht bei vergleichbaren Rock- und Metalkonzerten ein buntes Durcheinander, schaut man hier bis auf wenige Ausnahmen (Metallica, Korn, Fear Factory, Obi-Baumarkt Steglitz) auf T-Shirts mit vielsagenden Slogans wie „Gehasst, Verdammt, Vergöttert“, „Lieder wie Orkane“, „Danke für nichts“.
Die Identifikation des Publikums mit den Onkelz ist groß, da dürfte selbst Wolfgang Petry mit seinen Freundschaftsbändern blass werden. Was sich bestätigt, als die vier Musiker in schwarzen Hemden und Hosen die Bühne betreten. Bis in die letzten Reihen der Waldbühne werden die Fäuste gereckt und Songzeilen wie „Reich mir die Hände“ oder „Mit dieser Band hast du nicht viele Freunde, doch die, die du hast, teilen deine Träume“ lauthals mitgegrölt. Die Onkelz und ihre Fans: eine Leidensgemeinschaft, die Bassist und Songschreiber Stephan Weidner in seinen Ansagen vor den Songs so beschwört: „Wir wissen, wie schwer ihr es habt, Onkelz-Fans zu sein, wie sehr das in euer Privatleben einschneidet“.
Da dürfen 18.000 Leute ruhig eine ganze Menge Freunde sein. Und da dürfen sich auch die Lebensverhältnisse der Onkelz und ihrer Fans fundamental unterscheiden: Hier die Stars auf der Bühne, die Millionen von Alben verkauft haben und dementsprechend Geld verdienen; dort der weiße Trash aus Deutschland, die armen Schweine, die Einheits- und Modernisierungsverlierer mit ihren diffusen Gefühlen für und wider die Gesellschaft, in der sie leben.
In der Waldbühne lassen sie sich grob in zwei Gruppen teilen: Die Kurzgeschorenen mit freiem Oberkörper, Fred-Perry-Hemd oder eben Onkelz-Shirt, dazu Jeans und Doc Martens, und die Langhaarfraktion, schau nach unter Hardrock und Metal, Blauer Affe, Neukölln, und Grüner Jäger, Wedding. Denen singen die Onkelz aus der Seele; mit Songs darüber, wie hart das Leben ist. Wie es sich mit männlichen Initiationen verhält: das erste Mal Sex, das erste Mal beim Tätowierer. Dass man hinfällt, wieder aufsteht und sich nicht unterkriegen lässt. Dass die Besten zu früh sterben. Usw.: Freundschaft, Treue, Leben, Tod, Onkelz.
Zu lachen gibt es da nichts: Das Konzert, das die Onkelz zweieinhalb Stunden geben, ist ein sehr ernstes, entbehrt von Seiten der Band jeglichen Humors (wenigstens die 18.000 haben ihren Spaß, irgendwie).
Doch es gibt ja auch viel Wichtiges zu reflektieren: 20 Jahre Bandgeschichte (Weidner: „Verdanken wir euch“), nach neun Jahren das erste Mal wieder in Berlin („Ich kann es nicht anders sagen: ein Triumph“), der dumme Papst, der mit „Kirche“ sein Fett weg bekommt, „ihre psychedelische Phase“ (aus einer Ansage zu einem alten Song). Und natürlich die Beziehung zu den Medien, die mit einem ganz besonders bösen Song bedacht werden: „Fahrt zur Hölle“.
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