Der Stullenstreiter von Bottrop

Zwar liegen Schokoriegel und Lakritzschnecke in der Gunst der Esser längst vorn. Doch Alexander Hüsing kämpft tapfer für den Fortbestand des gut geschmierten Graubrots

Genau genommen hätte Alexander Hüsing das Elend ja schon vor 15 Jahren erkennen können. Damals, als er noch auf dem Bottroper Schulhof stand und in seine Graubrot-Kniffte mit Leberwurst biss. „Immer von Muttern geschmiert.“ Zwar waren seine Kumpels auch alle Stullen-Freaks, doch zeichnete sich bereits unübersehbar ab: Die Zahl derer, die in der Pause ihre Bemme aus dem Pergamentpapier wickelten, war rückläufig.

Schokoriegel und Lakritzschnecke lagen in der Gunst weit vorne.

Hüsing war also frühzeitig alarmiert. Doch den Kampf für die Rettung des Butterbrots sollte er erst 1999 antreten. Und das auch nur aufgrund eines Zufalls. Eines Tages sucht der Hobby-Programmierer von Internetseiten eine Sammeladresse für all das, was er schon ins Netz gestellt hat: darunter eine Hommage an die „geschundene“ Heimatstadt Bottrop. Das Problem: Das Feld guter Domain-Namen ist bereits weitgehend abgeerntet. Ernüchtert erkennt Hüsing, dass sowohl www.kokosnuss.de als auch www.tohuwabohu.de längst vergeben sind. Was tun? www.butterbrot.de vielleicht? Und tatsächlich. Die Adresse gibt es noch nicht. Schnell sichert sich der Bottroper die Site – und will sie schließlich auch bebildern. Und da passiert es. Hüsing erkennt: Kein Mensch hat Fotos von belegten Graubroten. Die Menschheit, die vom Südpol bis zur Sonne fotografisch alles erfasst hat, scheint das Objektiv so gut wie nie auf das immerhin seit dem 15. Jahrhundert überlieferte Butterbrot gerichtet zu haben. Stullenschnappschüsse sind Mangelware.

Für Hüsing ein Schock. Er sieht sich um und stellt endgültig fest: Kaum einer schmiert noch Stullen. Der Blick in Kantinen- und Mensa-Auslagen ergibt: belegte Brötchen ja. Vom guten alten Dubbel (belegter Graubrot-Doppeldecker) jedoch fehlt jede Spur. Das ist zu viel. Hüsing will handeln. Gegenlenken. Unter www.butterbrot.de gibt es daher fortan nicht mehr nur alles Wissenswerte über Bottrop, sondern zuallererst den Aufruf: „Rettet das Butterbrot!“

Das ist Ende Mai 1999. Jetzt feiert Hüsings Stullen-SOS („Save our Sandwich“) das Einjährige. Und inzwischen ist aus den drei Worten eine interaktive Initiative geworden. Ein Selbstläufer. Denn bald reagierten auch die Websurfer mit konstruktiven Beiträgen. Ob Schnittchen-Rezepte, Knifften-Cartoons oder Gedichte über und Oden an die Stulle – der Bottroper Butterbrot-Bewahrer hat alles dankend an- und in die Website aufgenommen. Auch die endlich eingesandten Fotos sind nun Bestandteil der wohl umfassendsten Butterbrot-Galerie im Internet geworden. Selbst die Erfahrungsberichte junger Adoptiveltern, die vom Hungertod bedrohten Stullen ein neues Zuhause gaben, hat Hüsing anklickbar gemacht. Die Botschaft ist klar: Butterbrote sind es. Weil sie Geschichte haben. Und weil sie Geschichten schrieben.

Gern erinnert Alexander Hüsing sich etwa an jene frühen Kindheitstage, als „der Oppa“ ihm die Kniffte noch in mundgerechte Würfel schnitt. „Mit denen bin ich dann Auto gefahren.“ Auf dünnen Plastik-Brettchen, die Hüsing heute noch hat. Überhaupt Brettchen. Längst belässt Hüsing es nicht beim virtuellen Kreuzzug für das Butterbrot. „Auch auf die Servierform kommt es an. Teller sind stillos.“ Und weil Brettchen einen schweren Stand haben, erstellte der 25-Jährige im Netz kurzerhand ein Brettchen-Museum. „Blümchenmuster, Donald Duck, bunt, oder einfach nur Holz, das ist völlig egal. Hauptsache Brett.“ Wie viele Besucher auf seine Seite kommen, ist dagegen nicht egal. „Je mehr, desto besser.“ Nur so kann die Kampagne erfolgreich sein. Normalerweise verzeichnet Hüsing bis zu 500 Surfer pro Tag. Als Spitzenwert waren im März aber auch einmal 8.000 Neugierige auf seiner Seite.

Ob Hüsing, der sich zu Hause gern „mit Freunden zum Stullen schmieren“ trifft, mit seiner Internetaktion noch rechtzeitig kommt, muss abgewartet werden. Es wird auf jeden Fall knapp. Der Brotkonsum in Deutschland sei bereits rückläufig, hat er – inzwischen mit dem Brotmuseum in Ulm verlinkt – herausgefunden. Kein Wunder also, dass auch die Bottroper Bäcker auf seiner Seite sind – und das, obwohl der Hardliner ihre Brötchen strikt ablehnt. Für Hüsings Idee der 1. Bottroper Butterbrottage haben sie ihm bereits volle Unterstützung zugesagt. Programm und Termin stehen freilich noch nicht fest. Nur so viel weiß der Graubrotesser schon: „Viele Menschen werden sich durch Bottrop schieben. Und alle sollen sich anständig belegte Knifften reinschieben.“ KARL HÜBNER