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„So kann keiner richtig schießen!“

■ Die Stadtbibliothek eröffnet heute die „Literarische Asservatenkammer“. Dabei plaudert der Krimiautur Jürgen Alberts mit den beiden Bremer Polizeichefs über Fakten und Fiktionen. Kripo-Chef Mordhorst war vorab geständig

Der stadtbekannte und sehr rührige Krimischreiber Jürgen Alberts hat der Stadtbibliothek bekanntlich seine Krimi-Sammlung vermacht. Nach knapp einjähriger Vorbereitungszeit wird sie unter dem Namen „Literarische Asservatenkammer“ am heutigen Dienstag eröffnet. Aus diesem Anlass diskutiert Alberts heute über das Thema „Was ist spannender – die Realität oder die Fiktion? Dabei sind der Bremer Polizeipräsident Rolf Lüken und sein Vertreter, Kriminaldirektor Eckard Mordhorst. Der Kripo-Chef gab in eingrenzenden taz -Vorermittlungen schon erste Antworten.

taz: Herr Mordhorst, lesen Sie überhaupt Krimis?

Eckard Mordhorst: Ja, natürlich! Aber am liebsten lese ich gut recherchierte historische Romane, weil man in denen in eine ganz andere Welt reisen kann. Bei den Krimis sind mir die Schweden Sjöwall & Walhöö am liebsten, die ausgezeichnete Romane geschrieben haben, die auch die Umstände der schwedischen Gesellschaft sehr schön reflektiert haben.

Was ist denn nun für Sie spannender, der geschriebene Krimi oder Ihre alltägliche Arbeit?

Für mich ist die Realität spannender, und zwar alleine schon deshalb, weil ich bei einem Roman immer schon vorher weiß, dass er sich auflöst. Am Schluss hat der Leser immer die Bestätigung, dass die Ermittler genau herausgefunden haben, was passiert ist und wer der Täter ist. Und das haben wir in der Realität so nicht. Manchmal können wir durch die Spuren am Tatort und am Opfer noch Hypothesen darüber entwickeln und bestätigen, was passiert ist, und möglicherweise auch noch, warum es passiert ist. Aber die Frage nach dem „wer“ können wir halt nicht immer beantworten. Wir haben zwar bei Kapitalverbrechen mit über 90 Prozent eine sehr gute Aufklärungsrate, aber bei der Arbeit selber kann man sich nie sicher sein, ob sie erfolgreich sein wird. Und die Realität ist auch deshalb spannender, weil wir es mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun haben, mit den unterschiedlichsten kulturellen Hintergründen, den unterschiedlichsten Tatmotiven und Strategien. Wir haben immer wieder völlig andere Fragestellungen, während in den Romanen eines Autoren wie etwa den Sherlock-Holmes-Geschichten von Arthur Conan Doyle die Handlungsstränge immer relativ gleich sind. Ich denke, es ist sehr schwer für einen Krimiautor, ständig neue Charaktere zeichnen zu müssen. Bei aller Fantasie müssen sie ja doch immer wieder auf eigene Erfahrungen und Verhaltensmuster zurückgreifen, und es wird zwangsweise mit Standards gearbeitet, während in der Realität jedes Individuum anders handelt.

Gibt es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der fiktiven Detektivarbeit eines Lesers und Ihrem Metier?

Bei der Polizeiarbeit muss ich mir ja zum Beginn der Ermittlungen erst Gedanken darüber machen, in welchem Umfeld ich den Täter finden kann, während das im Krimi ja von vornherein klar ist. Im Krimi gibt es eine extrem reduzierte Auswahl von potenziellen Tatverdächtigen. In den ersten 30 oder 40 Seiten des Buchs muss dem Leser der Täter vorgestellt werden, denn wenn der erst kurz vor der Auflösung zum ersten Mal auftaucht, wird jeder Leser nur den Kopf schütteln. Wenn wir dagegen anfangen, ist der Blickwinkel sehr groß, und unsere Aufgabe besteht dann darin, ihn einzugrenzen. Also dieses Segmentieren, das der Romanautor von sich aus schon vorher gemacht hat, das machen wir erst noch.

Ärgert oder amüsiert es Sie manchmal bei Krimis, wenn die Polizeiarbeit gerade in den Fernsehserien sehr klischeehaft und spekulativ dargestellt wird?

Nun ja, wenn ich zum Beispiel sehe, wie die Helden immer wieder mit quergestellter Pistole arbeiten, so ist das völlig unprofessionell. Das sieht zwar gut aus, aber so würde kein Mensch schießen. Man hätte keinerlei Steuerungsmöglichkeiten, würde zwar noch abdrücken, aber wohin könnte man so schießen? Fragen: Wilfried Hippen

Gesprächsrunde heute, Dienstag, um 19.30 Uhr, Vor dem Steintor 37

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