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herr hefele kriegt zwei minuten ALBERT HEFELE über den Inbegriff der Überflüssigkeit

Iebrig wia a Kropf

Bei uns im Allgäu – Allgäu ist da, wo ich herkomme – gibt es einen Witz, der geht so: Eine Mutter geht mit ihrem Bub spazieren. Beide haben mordsmäßige Kröpfe (Blähhals, lat.: Struma), die sie ganz selbstverständlich vor sich hertragen. Früher hatten nämlich nahezu alle Allgäuer Kröpfe wegen des Jodmangels im Trinkwasser ... also: Mutter und Sohn. Die beiden nun, begegnen einer Touristin ohne Kropf, und der Bub deutet scheu kichernd zu ihr hin: „Mama, guck ... die Frau ... dia hott ...“ Die Mutter, die eine ordentliche Frau ist, haut ihm gleich eine Watsch’n herunter und weist ihn schroff zurecht: „Bist staad, dumm’r Bua. Über solche arme Leit lacht ma it!“

Wenn Sie’s nicht verstanden haben: Der auf den ersten Blick grobschlächtige und sogar etwas plumpe Witz hat es in sich. Nicht nur, dass er die Zuhörer dazu aufruft, die Jugend schon früh zur Toleranz gegenüber Minderheiten zu erziehen! Fast im gleichen Atemzug schmettert er uns – das aufrüttelnde Bild des Kropfes gebrauchend – eine Parabel über die Relativität der Werte hin, dass wir nur noch mit den Ohren schlackern können. WO DER KROPF NORMALITÄT IST, WIRD DER NICHTKROPF ZUR BEHINDERUNG UND ZUM MAKEL!

Wenn wir die Zeit haben, wollen wir diesen Satz noch etwas überdenken. Nicht jetzt, denn die Kolumne geht noch weiter, das mit dem Kropf war nur eine – zugegeben pfiffige – Einleitung. Die hoffentlich kein falsches Bild vom Allgäu hinterlässt. Eventuell in der Art: Alle Allgäuer wollen unbedingt einen Kropf. Dem ist nicht so, dem war auch noch nie so! Der Allgäuer flieht den Kropf, wo er ihn trifft. Trotzdem macht er seine Witze darüber, wahrscheinlich, um den heimlichen Schrecken vor einem möglichen Kropf zu bannen. Nicht umsonst spricht der Allgäuer, wenn ihm etwas völlig überflüssig erscheint: „Des isch doch iebrig wia a Kropf“, und meint damit, dieses Etwas sei völlig überflüssig.

Wie ein Kropf eben. Oder eine Oscar-Verleihung für Sportler, wie die, die letztes Wochenende in Monaco stattgefunden hat. Wer, um Gottes willen, braucht so etwas? Wer, um Gottes willen, will so etwas? Der Academy Award ist schon als Gespreize und Gegickle kaum zu toppen, aber er hat wenigstens eine Historie und damit immer noch eine gewisse Berechtigung. Was die Sportler anlässlich des Sport-Oscars abgezogen haben, war nichts anderes als ein peinlich kropfiger Abklatsch einer anderen peinlichen Veranstaltung. „The winner is ...“ und stehende Ovationen wegen jedes Nasenbohrers.

Muss das sein? Kohle hin oder her. Meine Güte, haben die das alle so nötig? Von dem in der Turnhose angereisten Daley Thompson wollen wir gar nicht reden, aber Jeff Bridges? Oder: Thomas Gottschalk, eine Medienhure ersten Ranges, dessen Oma man unter Garantie für ein paar Mark mieten oder gleich kaufen könnte. Im Ernst: Gibt es irgendetwas, was dieser Mensch für Geld nicht täte? Natürlich auch den Sport-Oscar präsentieren und mit Freund Becker durch Monaco cruisen. Nicht wirklich, denn der Mercedes, in dem die beiden sitzen, wird per Anhänger durchs Städtchen gezogen. Nur so ist schließlich gewährleistet, dass die Filmkamera den Stern nicht eine Sekunde aus dem Visier verliert. Den Stern, der riesengroß vor den beiden deutschen Kultköpfen ins Bild drängelt und prangt und seine Botschaft verkündet: „Stern und Gottschalk und Becker und Monaco, das ist eins ...“

Und da wären wir auch schon beim eigentlichen Sinn der Veranstaltung. Der Sportler-Oscar ist nichts als eine große, dicke, fette, ellenlange Werbeeinschaltung. Iebrig wia a Kropf – und genauso unappetitlich.

Autorenhinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und schreibt über die fundamentalen Dinge des sportlichen Lebens

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