Jetzt kommt die Glücksphase

Frank Busemann, Olympiazweiter von Atlanta 1996, hat das richtige Maß an Zehnkampf-Demut gefunden und comebackt so erfolgreich wie verletzungsfrei beim Meeting in Götzis mit 8.531 Punkten

aus GötzisALBERT HEFELE

Frank Busemann und sein Bundestrainer Claus Marek sind sich einig: „Zehnkampf erzieht zur Demut.“ Marek sagt: „Zehnkämpfer müssen sich unzählige Male selber besiegen, um letztendlich ihre Gegner besiegen zu können.“ Frank Busemann (25) sagt, er habe es nun endlich zum richtigen Zehnkämpfer gebracht: „Ich denke, ich habe nun alle Höhen und Tiefen, die dieser Sport zu bieten hat, mitgemacht.“ Nach der langen Lehre folgte nun beim traditionellen Meeting im österreichischen Götzis die Abschlussprüfung. Und die Erkenntnis: Wer sich dem Zehnkampf verschrieben hat, lernt die Launen des Schicksals besonders gut kennen.

Erster Tag. Gleich die Schicksalsdisziplinen 100 Meter flach und Weitsprung. Athleten, die ein kleines Problem mit der Muskulatur haben, können sich darauf verlassen, dass es während dieser beiden Übungen ans Tageslicht kommt. Claus Marek nagt nervös am Bart. Als Busemann unversehrt die Ziellinie überquert, stößt er einen Juchzer aus wie ein österreichischer Bergbauer: „Alles klar!“ So klar nun auch wieder nicht, wie sich später zeigen sollte. Immerhin sorgte der gute Auftakt für einen reibungslosen ersten Tag. Auch was den seit der Oberschenkelverletzung von Sevilla 1999 traumatisch besetzten Weitsprung anging. Busemann sprang persönliche Bestleistung: 7,92 Meter.

Offenbar hat der Olympiazweite von Atlanta gut trainiert. Sorgfältig vor allem. Der moderne Zehnkampf verzeiht keine Fehler in der Vorbereitung. Wer zu schnell zu viel will, muss dafür büßen. Beispiel Paul Meier. Laut Marek „eine Rakete, die man bremsen muss“. Wenn die Bremsung nicht gelingt, wenn sich der Athlet nicht selbst zur Disziplin und Zurückhaltung erziehen kann, zahlt er dafür. Paul Meier ist wieder verletzt, zu früh in Bereiche gegangen, die sein Bewegungsapparat noch nicht verkraften konnte. Sydney und damit seine gesamte Karriere kann er wohl endgültig ad acta legen.

Frank Busemann dagegen scheint aus seinen Verletzungen gelernt zu haben. Höchste Konzentration in den Übungen und in der Vorbereitung. Busemann horcht sich quasi permanent ab. Dazu gehört auch, sich von den anderen Athleten abzusondern. Keine Kontakte, keine Gespräche, höchstens ein kurzer Austausch mit Trainer-Vater Franz-Josef. „Am ersten Tag hab ich mich nur mit mir selbst beschäftigt“, sagt Busemann. Am zweiten Tag ging alles etwas lockerer zu. Vielleicht eine Idee zu wenig demütig für den Geschmack des Zehnkampf-Gottes? Claus Marek auf die Frage nach dem Verletzungsrisiko des Hürdenlaufes launig: „Verletzung? Welche Verletzung? Dieses Wort wollen wir gar nicht hören!“ Um ein Haar hätte er es dann doch hören müssen, aber der Gott des Zehnkampfes ließ noch einmal Gnade vor Recht ergehen: straucheln an der achten Hürde. Den Sieg in der stärksten persönlichen Disziplin und ca. 120 Punkte verschenkt, aber: keine Verletzung. Vater Franz-Josef hakte das Missgeschick zügig ab: „Welchem Zehnkämpfer ist so etwas noch nicht passiert?“ Und: „Hier geht es doch um nix.“

Ging es aber doch. Sohn Frank wollte unbedingt einen Zehnkampf zu Ende bringen und seine Lockerheit wiedergewinnen. Nicht eben einfach, wenn man an seine Aussage denkt: „Das Jahr 2000 ist das wichtigste Jahr in meinem Leben. Jetzt muss es klappen, sonst wird es schlimm.“ Auch angesichts eines Stabhochsprunges, bei dem er praktisch jede Höhe mit einem kräftigen Nasenstüber bezahlen musste. Kreuzbeinprellung, Schädelprellung, Nackenprellung. Marek meinte: „Der riskiert sein Leben.“ Busemann überlebte und kam am Ende mit 8.531 Punkten auf den sechsten Rang.

Es gewann der tschechische Weltmeister Tomas Dvorak mit 8.900 Punkten, dem zweitbesten Ergebnis aller Zeiten, vor seinem Landsmann Roman Sebrle (8.757). Dvorak war bis zur neunten Disziplin auf Weltrekordkurs und verfehlte am Ende seine eigene Bestmarke von 8.994 Punkten nur knapp. Im Siebenkampf der Frauen siegte Weltmeisterin Eunice Barber (Frankreich), Sabine Braun wurde Dritte und schaffte ebenso wie Karin Ertl, Kathleen Gutjahr und Astrid Retzke die Olympianorm. Dies gelang bei den Männern neben Busemann auch Mike Maczey, der Siebter wurde.

Für Busemann bedeuteten die 8.531 Punkte das viertbeste Ergebnis seiner Karriere. Und damit – wenn man das Hürden-Missgeschick hochrechnet – ist seine Bestleistung von 8.706 Punkten durchaus in Reichweite. Grund genug, ein positives Fazit des Auftritts in Götzis zu ziehen: „Mein Quantum an Pech hab ich aufgebraucht, nun kommt die Glücksphase.“ Weise Worte von einem, der in der Schule des Zehnkampfes wieder viel dazugelernt hat.