56 Zeilen Blättern und Wundern

Das Richtige für Fans wie für Verächter des „Literarischen Quartetts“ – 768 Seiten Abschrift der Fernsehstreitgespräche

Beschwerde: So ganz just in time kam sie nicht an, diese Lieferung. Denn 768 Seiten nichts als Worte, Worte, Worte über Literatur – wenn man dies zum Geburtstag des Herrn Reich-Ranicki in der vergangenen Woche hätte präsentieren können, was wäre das für ein großes Hallo gewesen.

Chance vertan. Egal. Dennoch wird dieser Band interessieren, und zwar sowohl die Fans als auch die Verächter der Sendung „Das literarische Quartett“. Für beide Gruppen (und ist es nicht so, dass man hin- und hergeworfen tatsächlich beiden Fraktionen angehört?) ist das Buch was zum Blättern und Schmökern, zum Wundern und Schmunzeln.

Wer mag, kann ihm bei alledem darüber hinaus sogar noch ein streng dokumentarisches Interesse unterstellen. Denn die Gespräche aus dem „Literarischen Quartett“ werden hier eins zu eins in Schriftsprache wiedergegeben, mit allen abgebrochenen Sätzen, allen Abschweifungen, allen Kurzdialogen wie „Nein!“ – „Doch!“; es muss eine Heidenarbeit gewesen sein.

Und so lässt sich hier nun ganz genau studieren, an welchem Zeitpunkt es Reich-Ranicki für nötig hält, zu guten, schlichten, einfachen Urteilen aufzurufen; bei welchen Büchern sich Hellmuth Karasek für Provokatives in die Bresche wirft und wann Sigrid Löffler das Frauenfass aufmacht. Noch toller wäre nur eine Text-Bild-CD-ROM gewesen. Denn die Wucht Reich-Ranickis versteht man nicht recht, wenn man ihn nur liest. Da braucht man dann doch seine Mimik, vor allem seine Intonation dazu.

Das kommt vielleicht zum Neunzigsten. drk

Marcel Reich-Ranicki, Sigrid Löffler, Hellmuth Karasek: „ . . . und alle Fragen offen. Das Beste aus dem Literarischen Quartett“. Heyne Verlag, München 2000, 768 Seiten, 19,80 DM