„Den runden Sitzball benutze ich nicht mehr“

■ Interview mit Werder-Profi Dieter Frey, den ein Bandscheibenvorfall auf die Tribüne zwang

taz: Haben Sie einen dieser runden, bunten Sitzbälle zu Hause?

Dieter Frey: Ja. Aber ich benutze ihn nicht mehr.

Im Herbst 1998 hatten Sie einen Bandscheibenvorfall. Wie ist das passiert?

Als 19-Jähriger hatte ich schon einmal eine Bandscheiben-Vorwölbung. Mit Krankengymnastik habe ich das aber damals wieder ganz gut in den Griff bekommen und habe nach wenigen Monaten wieder gespielt. Viele Jahre hatte ich keine Probleme mehr. Aber ungefähr ein Jahr vor dem Bandscheibenvorfall ging es wieder los: Alle zwei, drei Monate hatte ich Rückenschmerzen. Dann habe ich mich behandeln lassen, meine Übungen etwas regelmäßiger gemacht und hatte zeitweise wieder etwas Ruhe.

Als der Bandscheibenvorfall dann kam – das kann man nicht an einem Unfall festmachen, kein plötzliches Verheben, kein ,Knacks'. Am Dienstag zuvor hatten wir ein Pokalspiel, danach hatte ich ein bisschen Rückenschmerzen. Zwei Tage später hatte ich ein Taubheitsgefühl auf der Rückseite des Oberschenkels. Der Arzt hat dann sehr schnell die Diagnose gestellt: Diesmal war es ein richtiger Bandscheibenvorfall. Der Rest ging sehr schnell: Innerhalb von einer Woche bin ich in der Berliner Charité operiert worden.

Bei Otto-Normalverbraucher fällt die Entscheidung zur Operation oft erst nach langem Abwägen, ob sich das Risiko lohnt ...

Auch beim Profi-Sportler versucht man natürlich, das Problem ohne Operation in den Griff zu bekommen. Bei mir haben aber alle Ärzte gesagt: Das muss operiert werden, egal ob Sportler oder Nicht-Sportler.

Wie schnell waren Sie danach wieder fit?

Aufstehen durfte ich schon einen Tag nach der Operation. Sitzen durfte ich dann nach drei oder vier Tagen.

Dennoch haben Sie erst nach ungefähr einem Jahr wieder gespielt. Warum?

Nach der Operation hatte ich Probleme mit der linken Wade. Bei der Operation wurde wohl der Nerv irritiert, der die linke Wade versorgt. Das hat dann fast ein Jahr gedauert. Der Rücken war nach sechs Wochen kein Problem mehr, damit ging es mir wirklich sehr gut, alles fühlte sich völlig normal an. Wenn das mit der Wade nicht gewesen wäre, hätte ich nach drei Monaten wieder Fußball spielen können.

Wie belastbar ist ihre Bandscheibe denn für den Rest des Lebens?

Seit der Operation habe ich im Rücken überhaupt keine Probleme mehr, das ist besser als vorher. Bei der Operation wurde mir ja nicht die Bandscheibe entfernt, sondern nur die Flüssigkeit, die aus der Bandscheibe ausgetreten war und auf den Nerv gedrückt hatte. Mir fehlt jetzt zwar ein bisschen von meinem Bandscheibenkern, aber das geht ohne Probleme.

Viele Menschen bekommen bei einem Bandscheibenvorfall starke Zukunftsängste, weil sie sich als lebenslanger Krüppel wähnen. Ist das für einen Profisportler nicht besonders hart?

Schwierig wäre es gewesen, wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass es ein Jahr dauern wird. Letztendlich war es gar nicht so schlimm. Natürlich wäre ich lieber gesund gewesen und hätte mit der Mannschaft trainiert. Aber weil es immer ein Stück besser wurde, war ich von Anfang an felsenfest überzeugt, dass das wieder in Ordnung kommt. Meine Therapeuten waren sich da hin und wieder nicht so sicher, erzählen sie mir heute. Aber ich habe immer daran geglaubt.

Was war das Schlimmste an der Genesungszeit?

Es fiel mir furchtbar schwer, auf der Tribüne zu sitzen und die Spiele anzuschauen. Da möchte man dann ein Teil von der Mannschaft sein und mitmischen.

Letzten Herbst haben Sie wieder kurz trainiert. Sind Sie vorsichtiger geworden?

Die anderen haben gesagt, dass sie damit gerechnet hätten, dass ich erst mal langsamer mache und dass sie überrascht gewesen seien, dass sich mein Zweikampfverhalten und mein Einsatz nicht verändert habe. Mit dem Rücken selbst hatte ich gar nicht so lange zu schaffen, dass sich da große Angst hätte entwickeln können.

Nach nur fünf Spielen war im März dann wieder Schluss: Sie hatten einen Kreuzbandriss im Training.

Ja da hat's dann wieder geschnackelt, wie wir Bayern sagen.

Der Trainer Thomas Schaaf wurde damals zitiert: „Dieter ist natürlich fix und fertig, total enttäuscht und völlig deprimiert.“ Hat sich das gelegt?

Klar war das im ersten Moment ein Schock. Ich habe auch sofort ans Kreuzband gedacht, als es passierte. Die ersten Gedanken waren schon: Vielleicht lasse ich es jetzt ganz bleiben, erst ein Jahr weg und dann schon wieder ein halbes Jahr pausieren wegen des Kreuzbandes – vielleicht soll es einfach nicht sein, dass ich Fußball spiele. Aber dann wurde sofort beraten, wo es operiert wird, ich habe noch andere Ärzte konsultiert, und so war ich gleich wieder beschäftigt und abgelenkt. Nach ein- oder zwei Tagen war die Depression erledigt. Ich bin in die USA geflogen, habe mich operieren lassen und seitdem mache ich Rehabilitation.

Der Verein hat Sie nicht hängen lassen: Ihr Vertrag wurde gerade verlängert.

Unterschrieben habe ich noch nicht, aber wir haben uns vorletzte Woche zusammengesetzt und er wird im Großen und Ganzen weiterlaufen wie bisher. Schon am Tag, als das mit dem Kreuzband passierte, hat man mir signalisiert, dass ich mir darüber keine Gedanken machen sollte. Das war nicht nur sehr fair, sondern psychisch für mich absolut wichtig: Man macht sich natürlich schon Gedanken, wie es beruflich weitergehen soll, wenn man ein halbes Jahr verletzt ist.

Wie oft gehen Sie denn zum Training, um den anderen zuzuschauen?

Gar nicht. In unregelmäßigen Abständen schaue ich vorher in der Kabine vorbei. Aber wenn alles gut läuft, bin ich ja bald wieder als Gesunder dabei. Wenn man wieder dabei ist, ist man sofort wieder integriert.

Fragen: Christoph Dowe