: Immer teurer und immer langsamer
Jeder Pizzabäcker muss angeblich eine Homepage haben. Die soll blinken und klimpern, bis der Browser bricht:Das Internet ist schon heute bis an den Rand seiner Leistungsfähigkeit überlastet. Und die Programmierer ächzen
von SUSANNA KRAMARZ
„Bitte schicken Sie mir keine Dateien per E-mail. Das strapaziert mein Gebührenkonto zu sehr. Ich bin arbeitslos, und meine Telefonrechnung ist sowieso zu hoch.“ Dieser Satz ist nicht auf irgendeiner zusammengeflickten Homepage eines Pseudoweltretters zu lesen. Er steht auf einer umfangreichen und gut besuchten Lernseite für Flash-DesignerInnen – und sagt mehr über das Internet als alle Prognosen über den E-Commerce zusammen.
Das Internet wurde aufgebaut als internationales, universitäres Kommunikationsnetz mit minimalen Anforderungen an Speicherplätze und Telefonleitungen. Als schnelles Mittel zur formlosen Kommunikation und Information ist es absolut unschlagbar, als Ersatz für Kabelfernsehen, CD-Player und den Quellekatalog ist es derzeit technisch noch völlig ungeeignet.
Info statt Spektakel
Eine amerikanische Marktforschungsgesellschaft hat festgestellt, dass 1999 in den USA weniger Nachschlagewerke gekauft wurden als noch im Jahr zuvor. Die Marktforscher vermuten, dass sich immer mehr Menschen ihre Informationen direkt und kostenlos aus dem Internet holen, statt sich Bücher anzuschaffen. Aber sie suchen Informationen, kein Massenspektakel: Auch das ist eine Bestätigung für den spröden, am Text orientierten Charakter des Internets.
Die Auszeichnungssprache für den Internettext, HTML, ist genügsam. Es gab lange Zeit kaum Gestaltungsmöglichkeiten; schwarze Standardschrift auf weißem Grund. Das hervorstechende Merkmal von HTML waren die Links. Text und Links – mehr brauchte es nicht, um Informationen auszutauschen und zu verknüpfen. Die Erfindung des Usenet, von Mailinglisten, Diskussionsforen, Chats gehören in diese Urzeiten. Alles, was danach gekommen ist – Farben, Bilder, aufwendige Gestaltungen, Animationen, Ton, Interaktivität, Datenbankarchive, E-Commerce und die exponentielle Zunahme von „Ich-bin-drins“ in der Bevölkerung –, bringt das Medium mehr und mehr an den Rand seiner Leistungsfähigkeit, zumal es ganz so preiswert nicht zu haben ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
Inzwischen erwägen sogar einige britische Universitäten, ihre Studenten zur Kasse zu bitten: Durch deren Surftouren in der Internet-Musikwelt entstanden allein der Universität Edinburgh in der vergangenen Zeit über 10.000 Pfund Telefongebühren pro Monat.
Eine weitere Achillesferse des Internets: Browser aus den Jahren 1998 und davor sind nicht in der Lage, neuere HTML-Standards oder aktuelle Varianten der Programmsprachen zu entziffern. Das Internet ist deshalb für Programmierer und Designer ein unsicherer, anstrengender und keineswegs immer gut bezahlter Arbeitsplatz. Denn zunächst einmal ist das Internet als kostenloses Medium etabliert. Es ist bisher bis auf Ausnahmen noch niemandem gelungen, für seine Dienste im Internet kostendeckende Gebühren einzufordern. Die Honorare für Online-Informationsangebote sind deshalb immer von Einnahmen aus anderer Quelle abhängig – sei es aus irgendeiner Form von E-Commerce oder aus den konventionellen Einnahmen des Auftraggebers.
Stundensatz: 40 Mark
Finanzstarke Kunden vom Schlage Bayer AG, ARD, Spiegel oder Quelle sind nicht die Regel. Stattdessen müssen Webschmieden oft sehr knapp kalkulieren, um für das vereinbarte Honorar hochwertige Websites erstellen zu können, zumal häufig zwei oder sogar mehr Varianten mit dem gleichen Inhalt für verschiedene Browsertypen aufgebaut werden müssen. Stundensätze von unter 40 Mark sind üblich; gute Webprogrammierer und -designer können auf 120 Mark und mehr kommen.
Es gibt keine Garantie für Vollbeschäftigung; ist ein Auftrag erledigt, kommt der nächste – oder auch nicht. So wird es in der Branche gern gesehen, dass prominente Experten wie Sigram Schindler, Informatikprofessor und Vorstandsvorsitzender der Teles AG, jedem Pizzabäcker ohne Homepage innerhalb der nächsten fünf Jahre den Konkurs voraussagen. Der gesamte Mittelstand soll ins Internet. Der aber stellt Bedingungen. Denn wenn schon Geld in dieses unsichere neue Medium gesteckt wird, dann sollte eine ebenso aufwendig gestaltete, blinkende und klimpernde Präsentation entstehen wie beim nächstgrößeren Konkurrenten.
Turbo-Fortbildung
Für diejenigen, die im Internet professionell arbeiten, bedeuten diese Ansprüche jedoch kontinuierliche Fortbildung, weit über alle offiziellen berufsbegleitenden Maßnahmen hinaus. Noch nie gab es ein Medium, in dem der Geheimtip von Januar im März schon als Standard gehandelt wurde und ein Jahr darauf überholt war.
Während die Entwicklungszyklen bei bisherigen Programmsprachen bei fünf Jahren lagen, werden sie für das Internet auf zwei Jahre oder noch weniger geschätzt. Ein einfaches Beispiel: Die beiden großen Browser-Familien – Internet Explorer und Netscape-Navigator – benutzen teilweise verschiedene Codes in HTML, Javascript und deren Varianten. Das bedeutet doppelte Programmierarbeit, damit eine Homepage auf beiden Browsern ungefähr gleich aussieht. Der demnächst kommende Netscape-Navigator 6.0 wird bedeutende Teile seines derzeit aktuellen Vorgängers 4.7 nicht übernehmen, so dass vermutlich viele Homepages, die mit Javascript arbeiten, umgeschrieben werden müssen.
Wer neue Homepages erstellt, sollte auf diese neuen Standards bereits heute Rücksicht nehmen, obwohl Netscape auf seiner Homepage hierfür nur sehr spärliche Hilfen bietet. Zudem reicht es oft nicht aus, nur ein einziges Gebiet zu beherrschen: Webprogrammierer müssen für verschiedene Aufgabenstellungen verschiedene Programmsprachen nutzen, sind mit ständigen Erweiterungen und Veränderungen konfrontiert. Auch Designer brauchen neben ihren Standard-Grafikprogrammen Techniken, um das Design webfähig zu machen, also häufig solide Kenntnisse in Javascript, HTML und allen aktuellen Spielarten dieser beiden Sprachen. Vor allem in kleineren Internetfirmen und Agenturen sind Mehrfachqualifikationen gefordert: Wer zunächst nur Informatiker war, erstellt im nächsten Monat Internetseiten und baut Datenbanken auf. Wer vom Design kommt, arbeitet sich möglicherweise bald in Videos, Sound, vom Surfer gesteuerte Interaktivität ein.
Nachbarschaftshilfe lebt
Immerhin hält dieser Bedarf an ununterbrochener Fortbildung eine gute alte Tradition des Internets am Leben: Eine erstaunliche Nachbarschaftshilfe, nah und jederzeit verfügbar. Während früher in den universitären Diskussionsforen und Newsgroups nur Informatikstudenten und Dozenten ihre Fragen austauschten, werden diese Möglichkeiten heute von Quereinsteigern gern genutzt, um sich Rat zu holen. „Das hier war früher ein Entwicklerforum, und jetzt schlagen wir uns mit lauter Anfängern herum“, beklagte sich kürzlich ein Profi in einer Flash-Newsgroup. Er wurde von seinen Onlinekollegen zur Geduld gemahnt: „Wir haben vor einem Jahr hier geübt, jetzt sind die Neuen dran.“ Kaum eine Frage zu HTML, Javascript, Flash oder Perl, die nicht innerhalb von maximal 24 Stunden auf Deutsch oder noch schneller auf Englisch gründlich und richtig beantwortet ist. Sogar Scripts für E-Commerce, Datenbanken, Redaktionssysteme und vieles mehr gibt es im Zuge dieser grenzüberschreitenden Internetselbsthilfe.
Unter cgi.resourceindex.com ist eine seit Jahren etablierte und immer wieder aktualisierte und bewertete Linkliste zu finden. Sie führt zu einer Vielzahl von häufig kostenlosen, weitgehend fertigen Scripts der im Internet gängigen Programmsprachen, erstellt in Norwegen oder Sibirien, in Boston oder Erlangen.
Mit jeder neuen Programmsprache etablieren sich sofort kostenlose freiwillige Diskussions- und Informationsangebote, eingerichtet von Universitäten oder einzelnen Programmierern, wie sich an der vor etwa zwei Jahren entwickelten Sprache PHP oder an Javascript nachvollziehen lässt. In diesen Foren findet das Internet zu sich selbst zurück: Ein design- und schnörkelloses Informations- und Kommunikationsmedium, das in seiner Internationalität und Schnelligkeit konkurrenzlos ist. Dass wirklich umfangreiche Homepages – etwa viele Tageszeitungsangebote – inzwischen von ihren aufwendigen Gestaltungen wieder zu reinem HTML zurückkehren, um Ladezeiten zu verkürzen und um Probleme mit den verschiedenen Browsern zu vermeiden, spricht für sich.
Die Autorin ist Ärztin und Wissenschaftsjournalistin. Sie arbeitet heute als Webdesignerin: www.xxmed.de
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