Kombinieren unbekannt

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gewinnt ihr EM-Vorbereitungsspiel gegen am Ende ermattete Liechtensteiner mit 8:2, offenbart dabei jedoch flächendeckende Ideenlosigkeit

aus FreiburgULRICH FUCHS

Es war schon kurz nach zehn Uhr abends, am Mittwoch, als der Mannschaftsbus von Liechtenstein langsam aus dem Freiburger Dreisamstadion rollte und kurz vor dem Ausgang noch einmal ruckartig zum Stehen kam. Die Vordertür öffnete sich, Trainer Ralf Loose sprang heraus, umarmte kurz und innig zwei Spieler, die die Heimreise nicht mit antraten, und rief: „Es hat sich gelohnt, genießt jetzt euren Urlaub.“ Das mag befremdlich klingen, wenn man bedenkt, dass sein Team gerade eine 2:8-Niederlage kassiert hatte. Aber wer die 90 Minuten gesehen hatte, wusste, was Loose meinte. Und er wusste auch, dass die Kantersieger des Abends alles andere als einen lohnenden Freiburg-Trip bilanzieren konnten.

Dabei hatten die Planer der DFB-Reisegruppe nicht ungeschickt kalkuliert, als sie den letzten Halt vor der Euro an einen Ort mit integrierter Euphorie-Garantie gelegt hatten. Schließlich zählt der äußerste deutsche Südwesten zur Diaspora des internationalen Glamour-Fußballs, und das Freiburger Publikum hatte die nationalen Helden dann auch tatsächlich begrüßt, als wären sie direkt vom Fußballhimmel geschickt.

Auch den detaillierten Marshallplan des Abends hatte Teamchef Erich Ribbeck schon vorher festgelegt. Im ersten Durchgang sollte „im Wesentlichen die Formation, die am Montag gegen Rumänien auflaufen wird“, mit locker herausgespielten Toren und jauchzenden Anhängern in Euro-Stimmung gebracht werden; im zweiten Abschnitt dann die Reservistenschar mit einem 45-Minuten-Einsatz bei Laune gehalten werden. Der zweite und unwichtige Teil der Übung funktionierte zumindest halbwegs, weil ein gänzlich ermattetes Liechtensteiner Team in den letzten 10 Minuten noch fünf Gegentreffer einstecken musste. Der erste und entscheidende Durchgang kann dagegen künftig getrost als Demo-Band an der Sporthochschule Köln eingesetzt werden. Titel: Wie moderner Fußball nicht funktioniert.

Mit Blick auf das Rumänien-Spiel hatte Ribbeck eine erste Formation auf den Rasen geschickt, die mit Jeremies und Hamann auf zwei Defensivspieler im zentralen Mittelfeld setzt. Hinter den Spitzen war Mehmet Scholl postiert, als Innenverteidiger fungierten Nowotny und Linke, dazwischen stand Matthäus. Eine Mischung, die auf hohem Niveau kontraproduktiv für das ist, was gemeinhin unter dem Begriff Kombinationsfußball firmiert. Die Konsequenz war, wenig überraschend, eine flächendeckende Ideenlosigkeit. Eine Einschätzung, die im zweiten Durchgang noch mit mehreren Ausrufezeichen versehen wurde. Nicht, weil Ribbeck konzeptionell gewechselt hatte, sondern weil sich durch die auf den Platz gespülte Reservistenschar rein zufällig das Verhältnis von Fußball-Arbeitern zu Fußball-Spielern zugunsten Letzterer verschob. Deisler für Babbel, Bode für Ziege, Häßler für Scholl, Ballack für Jeremies, Wosz für Hamann, Rehmer für Linke, Jancker für Bierhoff. Was sie auszeichnete, war die deutlich erhöhte individuelle Qualität, gemeinsam Fußball spielen zu können.

Obwohl dort, wo die größten Fragezeichen stehen, auch die B-Formation keine Antworten lieferte. Die zentrale Frage ist weiter ungeklärt: Wie soll das deutsche Spiel in Gang gesetzt werden. Mit Matthäus? Der erinnerte, bis ihn schon nach einer halben Stunde wieder ein Muskel zwackte, mit seinen Flugbällen daran, wie früher Fußball gespielt wurde. Häßler? Ballack? Wosz? Die Indizien dafür hielten sich in Maßen. Nicht dass man der deutschen Elf jetzt schon ein Euro-Debakel prophezeien könnte. Aber für guten Fußball werden andere sorgen müssen.

Eigentlich hätten einem die wackeren Liechtensteiner Leid tun müssen, bei denen am Schluss alle Dämme brachen. Aber als ihr Bus noch einmal stoppte, war in den leuchtenden Augen der jungen Männer deutlich zu sehen, dass zumindest sie ein Stück vorangekommen waren an diesem Abend.