VS-Chef abgestürzt

Neonazis auf der Gehaltsliste des Thüringer Verfassungsschutzes zwingen Innenminister Köckert, Helmut Roewer vorläufig vom Stuhl zu kippen

DRESDEN taz ■ Vor anderthalb Jahren stolperte Helmut Roewer über Rainer Fromm – gestern ist der Thüringer Präsident des Verfassungsschutzes (VS) hingefallen. Nachdem die ZDF-Sendung „Kennzeichen D“ am Dienstag Recherchen der Fernsehjournalisten Fromm und Jürgen Roth veröffentlichte, sah sich Thüringens Innenminister Christian Köckert genötigt, Roewer vom Dienst zu suspendieren.

Obwohl in den VS-Berichten von 1996 bis 1998 als Neonazi mit maßgeblichem Einfluss verewigt, war Thomas Dienel nach ZDF-Recherchen in dieser Zeit bezahlter Partner von Thüringens Schlapphüten. Für seine Spitzeldienste soll Dienel die Zusage bekommen haben, dass eventuelle Strafverfahren von ihm abgehalten würden. Offenbar funktionierte der Kanal auch andersrum: Dienel rühmte sich im ZDF, mit Geldern des VS „massenweise Werbematerial für die rechte Szene finanziert“ und dank brisanter Informationen über geplante Polizeieinsätze die Neonazis vorgewarnt zu haben.

Zwar dementierte das Thüringer Innenministerium noch vor der Sendung heftig. Und auch gestern wollte Innenminister Köckert keinen Schuldspruch gegen Roewer abgeben. Immerhin musste er aber einräumen, dass es allein 1996 und 1997 etwa 80 mündliche oder schriftliche Tipps des Spitzels Dienel gab, die dem VS 25.000 Mark wert waren. Köckert betraute gestern den früheren Justizstaatssekretär Karl-Heinz Gasser mit der Leitung einer Untersuchungskommission. „Die Dienel-Affäre ist nur ein Punkt, der zu Roewers Suspendierung geführt hat“, erklärte Köckert. Viel wichtiger sei, dass Indiskretionen des Amtes für Verfassungsschutz immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hätten.

Fernsehjournalist Roth bestätigte gegenüber der taz, dass ihm die Informationen zum Fall Dienel direkt aus dem Amt zugespielt wurden. Allerdings dürfte nicht die undichte Stelle, sondern Roewer selbst das Problem sein. Vor zwei Jahren war es Fromm, der herausfand, das ein rechtsextremes Zeitungsprojekt mit Geldern des Sozialministeriums gefördert wurde. Wenig später war Roewer erstaunt, das Fromm vorab alles, sein Amt aber nichts über einen Neonazi-Aufmarsch in Gotha wusste. Roewers Erklärung: Die Sache sei fürs Fernsehen gestellt gewesen. Schließlich legte sich Roewer mit der Landeszentrale für politische Bildung an, die bei Fromm einen Aufklärungsfilm über Rechtsextremismus bestellt hatte. Der Film sei, so Roewer, „pädagogisch fragwürdig“.

Thomas Dienel ist nicht der einzige Rechte, den Roewers Behörde beschäftigte. So war beispielsweise Kampfsportlehrer Bernd Schmidt, der mit seiner Truppe auf braunen Veranstaltungen als Saalschutz fungierte, jahrelang V-Mann. NICK REIMER