Knüppel statt Kultur

Nichts dazugelernt: Das Sicherheitskonzept der belgischen und niederländischen Veranstalter der Europameisterschaft setzt ausschließlich auf Polizeimaßnahmen. Gewaltprävention durch sinnvolle Fanbetreuung hat erneut keine Chance

von GERD DEMBOWSKI

„Fußball ohne Grenzen“ lautete das Motto, als sich mit den Niederlanden und Belgien erstmals zwei Länder im Doppelpack um die Austragung der EM 2000 bemühten. Schön hatten sie sich das ausgedacht, doch seit sie den Zuschlag bekamen, setzen die Veranstalter alles daran, ihre ursprüngliche Idee ad absurdum zu führen.

Schon die neuen Stadien in Amsterdam und Arnheim statuieren ein Exempel an Fanfeindlichkeit. Der „Gelredome“ ist wie ein Ufo auf dem Arnheimer Asphalt gelandet, erinnert in seiner Konzeption aber eher an eine mittelalterliche Burg. Die Festung ist umgeben von breiten Wassergräben und nur über eine einzige fußweglose Zufahrt zu erreichen. Bei Ligaspielen fahren die Busse die auswärtigen Fans sogar direkt in ihren Block. Drinnen erwartet sie neunzig Minuten Big Brother wider Willen, mit modernsten Kameras, neonbehemdeten Stewards, eigener Stadionwährung und beweglichen Zwischenwänden. Nicht „Herzlich Willkommen“, sondern „Benehmt euch, sonst setzt es was“.

Natürlich ist der „Gelredome“ eine reine Sitzplatzarena, obwohl Sitzplätze bei Eskalationen zu gefährlichen Stolperfallen mutieren können. Karel Vertongen, Vizepräsident der Uefa-Stadionkommission, bestätigt, dass es „gar nicht um sichere Plätze im Panikfall geht“. Die Nummerierung der Plätze und die Überwachungsvorteile seien „ausschlaggebend, um hinterher Täter zur Rechenschaft zu ziehen“. Insgesamt „schürt die repressive Auslegung des Begriffes Prävention auch bei ansonsten fußballzentrierten Kuttenfans Angst und Aggressionen“, sagt der Hannoveraner Soziologe Gunter A. Pilz.

Da Sicherheitsexperten erhebliche gewalttätige Ausschreitungen von Hooligans und rechtsextremen Provokateuren befürchten, gleicht das Turnier einem Europatreffen der Polizei. Nach den zwei britischen Todesopfern in Istanbul, den Krawallen beim Uefa-Cup-Finale in Kopenhagen und den Massenprügeleien am letzten Spieltag der belgischen Liga läuft die Hooligan-Hysterie heiß: 35.000 Gesetzeshüter sollen in Belgien, 45.000 in den Niederlanden im Einsatz sein. Umgerechnet 225 Millionen Mark stellt allein die niederländische Regierung für ein Sicherheitskonzept zur Verfügung, die Belgier legen noch mal 180 Millionen drauf. Beide stellen sich auf einen Belagerungszustand ein. Schnellgerichte inklusive Geldautomaten zur problemlosen Strafgeldentnahme werden installiert, Räume für provisorische Knäste bereitgestellt. „Wer Ärger macht, wird sofort verhaftet“, sagt Belgiens Innenminister Antoine Duquesne.

Bunt angemalt wird das Event der Ausgrenzung mit zahlreichen Fressmeilen und Promotionaktionen der meistbietenden Firmen, die über kurzberockte Damen Werbegeschenke an Fans verteilen, die viel lieber eine der heiß begehrten Eintrittskarten hätten. Mit einem Kulturprogramm für Fans und Zaungäste hat das nichts zu tun, nicht einmal die von der Uefa geforderten Großbildleinwände sind vorgesehen.

„Man hat nur Risiken im Blick und kümmert sich nicht um Fan- oder Kundenfreundlichkeit. Darunter leiden 99 Prozent der Fans“, kommentiert Michael Gabriel von der Koordinationsstelle der Fanprojekte (KOS). Dem ständigen Nachhaken der deutschen Fan-Projekte ist es zu verdanken, dass kurzfristig Fanbotschaften in den Spielorten öffnen. Nachdem das Gesamtkonzept der KOS mit einer dreisprachigen Fanzeitung und einem Infomobil vom DFB und anderen Institutionen aber abgelehnt wurde, sehen sich die verbleibenden acht Sozialarbeiter nun eher in einer beobachtenden Rolle: „Es gibt eine große Skepsis, ob es überhaupt sinnvoll ist, dort zu arbeiten, oder ob nicht die Gefahr besteht, dass man als Alibi missbraucht wird“, resümiert Gabriel.

„Die Fanprojekte sollten sich von den großen Konzepten verabschieden. Bei solchen Events kann eine Rundumbetreuung nicht ihre Aufgabe sein. Hier müssen sie in Zukunft mehr darauf setzen, die verantwortlichen Fußballverbände und Institutionen in die Pflicht zu nehmen“, analysiert Gunter A. Pilz. Ein Modell der Begegnung mit kulturellem Austausch und einem fanfreundlichen Programm auf gemeinsamen Campingplätzen hat er zusammen mit dem Frankfurter Fansoziologen Dieter Bott schon 1988 bei der EM in Deutschland unter dem Motto „Kultur statt Knüppel“ gefordert. „Die VIP werden von vorne bis hinten hofiert, aber für den normalen Fan gibt es kaum ein vernünftiges Freizeit- und Kulturprogramm“, erneuert Pilz seine Kritik.

Der Wissenschaftler kritisiert auch die verschärften Passgesetze und Meldeauflagen für aktenkundige Hooligans, die Innenminister Otto Schilys Hilflosigkeit gegenüber den Hooligans verdeutliche: „Sehr schade, dass ausgerechnet ein Mensch mit einer solchen Biografie Kanther plötzlich rechts überholt“.

GERD DEMBOWSKI, 27, ist freier Journalist und Sprecher des Bündnisses Aktiver Fußball-Fans (BAFF)