Tanz in der Sparkassenfiliale

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu fordert eine neue politische Protestkultur gegen den Neoliberalismus. Im Gegensatz zu der Zeit klassischer politischer Proteste spielt bei den aktuellen Bewegungen in Berlin die soziale Frage jedoch keine Rolle

von DOROTHEE WINDEN

Die Polizei war irritiert. Da feierten junge Leute in der Sparkasse eine Party zwischen Kontoauszugsdruckern und Geldautomaten. Auf den zweiten Blick war allerdings klar: Das war nicht etwa ein Einweihungsempfang, sondern eine spontane Aneignung der Schalterhalle, eine Party mit politischer Botschaft.

Den Zugang zu der ausgefallenen Partylocation hatten sich die AktivistInnen ganz legal mit ihrer EC-Karte verschafft. Sie gehörten zu den TeilnehmerInnen einer „Innenstadtaktionswoche“, die sich im Sommer 1998 „gegen Privatisierung, Ausgrenzung und Sicherheitswahn“ wandte. „Wir haben in der Sparkasse getanzt, anstatt die Scheiben einzuschlagen“, berichtet ein damaliger Teilnehmer. Der Raum des Kapitals sei umgewidmet worden. Doch selbst unter den Teilnehmern war später umstritten, wie tragfähig diese Symbiose von Politik und Spaß ist. Denn am gewählten Ort, am Hackeschen Markt im Zentrum der Vergnügungsmeile des neuen Berlins, verschwammen Protest und Party bis zur Unkenntlichkeit. Das Happening selbst blieb zwar folgenlos. Doch gelang es der „InnenStadtAktion“, die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums und die damit verbundene Vertreibung von Obdachlosen und anderen Randgruppen zum stadtweit diskutierten Thema zu machen.

Die Innenstadtaktionswoche gehört zum neuen Typus von Protestbewegungen, die politische Inhalte mit spaßorientierten Aktionsformen verbinden. Die Eroberung des öffentlichen Raums ist dabei zum zentralen Thema der außerparlamentarischen Linken geworden.

Auch die Aktionsformen haben sich internationalisiert. Die Idee, sich mit Straßenparties die Straße zurückzuerobern, entstand 1992 in Großbritannien. Seit dem Sommer 1998 fanden unter dem Titel „Reclaim the streets“ auch in mehr als 30 bundesdeutschen Städten spontane Straßenbesetzungen statt. Dazu kommen Fahrraddemonstrationen unter dem Titel „critical mass“ oder die „Blade Night“.

Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen Initiativen, dass sie nicht über eine feste Organisationsstruktur verfügen. Als Kommunikationsmittel dienen wie in der Partyszene Flyer, Mund-zu-Mund-Propaganda und das Internet. Originelle Aktionsformen sind in, theoretische Diskussionen um die richtige politische Linie, die die neuen sozialen Bewegungen der Achtzigerjahre kennzeichneten, stehen nicht mehr im Vordergrund.

Frauen, Frieden und Umwelt waren damals die prägenden Themen. Doch die dazugehörigen Bewegungen haben sich längst institutionalisiert und sind damit für die Generation der heute 20- bis 30-Jährigen nicht mehr attraktiv.

Statt fester Gruppen bevorzugen sie lose Zusammenhänge, statt klarer inhaltlicher Festlegung wählen sie eine Plattform, die einen großen gemeinsamen Nenner ermöglicht. Entsprechend heterogen ist das Erscheinungsbild: StudentInnen, Funpunks, Linksradikale, die einen gestylt und trendy, die anderen kommen im Anarcholook.

Handys sind in und werden selbst von militanten Teilnehmern der 1.-Mai-Randale-Demonstration zur Lagebesprechung genutzt. Out sind Transparente und Lautsprecherwagen. In Zeiten, in denen auch bei etablierten Parteien die mediengerechte Inszenierung in den Vordergrund gerückt ist, setzen die Akteure der neuen sozialen Bewegung auf spektakuläre, oft ironisierende Aktionsformen.

Die Veranstalter der „Spackparade gegen Umstrukturierung und Neoliberalismus“, die im Dezember 1999 durch Berlin-Mitte zog, bezogen sich denn auch ausdrücklich auf die Spaßguerilla der Achtzigerjahre. Bei einer Pro-Nato-Demonstration 1981 in Hamburg hieß es auf Transparenten: „Atomkrieg? Warum nicht!“, „Mittelstrecken, Ja! Ja! Ja!“ und „Sollen russische Kinder ewig leben?“

Unter dem absichtlich sinnlosen Namen „Spackparade“ zogen 18 Jahre später 500 TeilnehmerInnen mit ähnlich ironischen Slogans durch die Stadtmitte Berlins. Anlass war die Tagung der Welthandelsorganisation WTO in Seattle. Die Berliner Polizei, die wegen der befürchteten Ausschreitungen prophylaktisch Wasserwerfer in Stellung gebracht hatte, beobachtete amüsiert, wie der demoeigene „Ordnungsdienst“ parkende Autos am Rande der Demostrecke reinigte. Ein junger Mann in Schlips und Anzug hielt ein Pappschild hoch: „Esst mehr Aale“. Die Sprechchöre forderten: „Ruhe, Ordnung, Sauberkeit.“

Dieser spielerische Protest gegen Globalisierung krankt daran, dass er diffus ist. Globalisierung bleibt in erster Linie ein Schlagwort, an der theoretischen Durchdringung des Phänomens mangelt es. Zudem ist es objektiv schwierig, einen Angriffspunkt zu finden, der das System trifft. Wirkungsvolle Angriffe sind bislang allein den Hackern gelungen, die weltweit Computersysteme mit Viren lahmlegten.

Schon einen geeigneten lokalen Adressaten des Protestes zu finden, ist schwierig. Nicht zufällig werden die Tagungen von Internationalem Währungsfonds oder Welthandelsorganisation zu Kristallisationspunkten der Proteste. Denn die eigene Regierung taugt als Adressat kaum. Insofern überrascht es auch nicht, dass nicht das Bundeskanzleramt oder das Außenministerium zum Ziel der Proteste wurden. Die Wahl des Ortes fällt vielmehr auf die Mitte Berlins, auf die Edelboutiquen und Luxusrestaurants in der Friedrichstraße und dem benachbarten Gendarmenmarkt – sie werden als Symbole des Reichtums und der Ausbeutung ins Visier genommen.

Doch anders als beispielsweise in Großbritannien, wo die neuen sozialen Bewegungen die soziale Frage thematisieren, spielt dieses Thema in Berlin, der Hochburg der neuen Protestformen in Deutschland, nur am Rande eine Rolle. Die Motivation ist zudem nicht die eigene soziale Lage, sondern die soziale Frage wird allenfalls stellvertretend für die Globalisierungsverlierer in der Dritten Welt aufgeworfen.