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: Helge Schneider spricht Werner Streletz

Nach Hause kommen

Ein durchschnittlicher Lebensroman braucht ja nicht so viele Kapitelüberschriften: „Sandkasten“, „Pommesbude“ und „Arbeitsamt“ heißen die ersten drei Tracks auf Helge Schneiders schon vor langer Zeit veröffentlichter CD „Hörspiele“ mit Heimaufnahmen aus den Jahren 1979 bis 1984. Track acht heißt „Sozialamt“, Nummer 16 „Helmut und Klaus“, und das war’s dann eigentlich schon.

Wirklich lustig ist das nicht, aber es hört sich erst einmal lustig an, denn Helge Schneider spricht sämtliche Rollen in den kleinen Szenen selbst, und Helge Schneider, das weiß man ja, ist ein Stimmkünstler. Bisher war er immer nur in eigener Sache unterwegs – Filme, CDs, Comedy und Konzerte. Mit wenigen Ausnahmen nur: So übernahm er für die Zeichentrickfilme „Käptn Blaubär – Der Film“ (1999) und „Felidae“ jeweils Sprecherrollen. „Felidae“ von 1994 nannte sich „Katzenkrimi“, und weil man damals gerade immer diesen Hit mit dem Katzenklo im Ohr hatte, machte das keinen Spaß.

Jetzt ist allerdings eine CD mit einem Hörspiel von Werner Streletz erschienen. Es spricht, fast die ganze Zeit: Helge Schneider. „Martin, sein Vater und die vertraute Stimme“ ist auch nicht lustig, und Helge Schneider ist es diesmal sowieso überhaupt und gar nicht. Er macht also keine Faxen mit der Stimme, sondern redet einfach so wie jemand, der 1955 in Mülheim an der Ruhr geboren ist: „Mein Vatta, der knirschte mit den Zäääähnen“, erinnert sich Martin, und Helge verschluckt die Endsilben, „das sind Häuser, sachter, die ham schonen Kriech mitgemacht. Und ich kriech ne Gänsehaut. Später hab ich mir immer vorgestellt, dass die Zähne von mein Vatter aus feinem Porzellan sind, und trotzdem echt. Wie Omas Sammeltassen im Schrank.“

Martin erinnert sich an seinen Vater, ehemaliger Polizist, unehrenhaft entlassen, danach Bergarbeiter, lieber in der Kneipe als zu Hause, lieber rumschreien als mal was Nettes sagen. Martin hatte keine schöne Kindheit, aber das sagt er nicht. Es war ja außerdem auch nichts Besonderes. Der Vater von seinem Freund Robert zum Beispiel war genauso, und viele andere Väter in der Siedlung, in der sie gewohnt haben, auch: „Robert und ich haben uns die Geschichten gegenseitig erzählt und haben darüber gelacht. Kamen uns irgendwie mutig vor, so etwas erlebt zu haben.“

„Martin, sein Vater und die vertraute Stimme“ erzählt in Erinnerungsfetzen Kneipengeschichten und ein paar Autofahrten mit eins Komma vier Promille von einem bzw. zwei durchschnittlichen Leben. Martins Leben und das seines Vaters: zwei Sandkasten-Pommesbuden-und-Sozialamt-Biografien, irgendwo im Ruhrgebiet, zwischen den Zähnen knirscht der Kohlestaub, und Helge Schneider macht . . . – ’tschuldigung, ist jetzt aber echt wahr –. . . also: Helge Schneider macht aus diesen Biografien nämlich Poesie!

Poesie geht so: „Die Frauen gingen manchmal ins Café und holten sonntags ihre Männer vom Fußball ab, damit sie nicht versacken konnten. Die Kinder mussten immer mitkommen, und jeder trank Export und niemals Pils“, liest Helge Schneider, zieht zwischendurch auch mal verhalten die Nase hoch, hat also wohl auch so seine Erinnerungen, und ist dann doch wieder ganz glücklich, weil sein Martin einer Wirtin keine „Avancen“, sondern langgestreckte „A-wan-zen“ machen darf. Er singt dann sogar noch ein paar Worte des Textes gegen den traurigen Swing an, der als Soundtrack zum Hörspiel dazugehört, und Flügel und Orgel hat Schneider sowieso selbst gespielt.

Das ist der Swing, den Helge Schneider damals, in den Siebzigerjahren, in Mülheimer Jugendzentren und Düsseldorfer Kellerclubs schon ausprobiert hat. Jetzt ist der Swing wieder zu Hause angekommen, zusammen mit Helge Schneider. Das ist schön.

PS: Das Problem ist, dass man über einem Lob immer gleich alle Maßstäbe verliert . . . Stimmkünstler! Poesie! Dabei gab es ganz zuerst den Gedanken, sich in dieser Kolumne unter dem Deckmantel einer Hörbuchrezension vor allem über den Titel eines gedruckten Werkes lustig zu machen, das Hörspielautor Werner Streletz im letzten Jahr veröffentlicht hat: „Blues außer Neemstraße. Poetische Texte in der Alltagssprache des Ruhrgebietes“. Das geht jetzt natürlich nicht mehr. KOLJA MENSING

Werner Streletz: „Martin, sein Vater und die vertraute Stimme“, CD (Roof Music/Indigo)Helge Schneider: „Hörspiele Vol. 1 (1979 – 84)“, CD (Roof Music/Indigo)