Wenn Frauen hassen

Glitterlook, Domestos-Hosen: Die R&B- und Soulsängerin Kelis liebt Schmusesongs von Lionel Richie und sorgte trotzdem im ColumbiaFritz für ausgelassene Partystimmung

Als die 20-jährige New Yorkerin Kelis Anfang des Jahres ihr Album „Kaleidoscope“ veröffentlichte, schien alle Welt in ihr den ersten großen Popstar der Nullerjahre ausgemacht zu haben. Niemand, dem Kelis’ geradezu rausgeschrienes „I hate you so much right now“ in ihrem Singlehit „Caught Out There“ nicht aus der Seele sprach, auch Männer hatten da ihre Freude dran.

Kaum jemand, der den Songs auf dem Album seinen Segen verweigern wollte, dieser offenen und nicht nur wegen des Bodypainting-Covers schillernden Mischung aus Urban Soul, HipHop und R&B, die dann auch noch straight und wie an der Schnur aufgezogen rüberkam – denn trotz Stimmvolumen, Charisma und Aura sind es am Ende doch meist der Beat und die druckvolle Bassdrum, die eine tolle R&B-Produktion von einer nicht so tollen unterscheiden, also Babyface von Timberland, die späten Achtziger von den späten Neunzigern. Und kein Medium, das außen vor stehen wollte, als Kelis in Sachen Promotion unterwegs war und ihre Geschichten von Glaube, Liebe und Hoffnung erzählte, von Träumen, Zwischenwelten und anderen Welten auf Planeten wie Mars oder Saturn.

Dass das wirkliche Leben und die Medienrealität noch immer zwei sehr verschiedene Welten sind, merkt man allerdings im Vorfeld des Berliner Konzerts von Kelis. Ihr Auftritt wurde von der großen Columbiahalle ins kleine, benachbarte ColumbiaFritz verlegt, der Veranstalter tauschte nach einem schlechtem Vorverkauf kurzerhand Kelis gegen die eigentlich im ColumbiaFritz angekündigten Altskater von Suicidal Tendencies. Was den Schluss nahe legen könnte, dass deren Hardcore mit Skateboard-Surrounding die adäquatere Sommermusik ist, doch auch die Columbiahalle ist an diesem Abend nur unwesentlich voller als ihr kleiner Nachbar und ein Ort zum entspannten Flanieren.

Die zwei-, dreihundert Leute, die zu Kelis gekommen sind, gehören dann auch nicht zu der typischen und großen Berliner R&B-Klientel. Ein Gig von Montell Jordan oder Aaliyah, Dru Hill oder Mya käme für sie wohl nicht in Frage, eher Wälder, Wiesen und Lauryn Hill. Also weit und breit keine Goldketten, Solarbräune, Lederjacken, weiße Plateaustiefelchen in Sicht. Es sind mehr Mädchen als Jungs, die zu schätzen wissen, dass Kelis mehr zu bieten hat als Sex und Seidenlaken, Sex und Glamour.

Wälder und Wiesen statt Sex und Seidenlaken

Eine ziemlich toughe und sympathische Girlband zum Beispiel, die aus drei Sängerinnen, einer Gitarristin und einer Bassistin besteht, deren Outfit aus bunten Versatzstücken der Sechziger, Siebziger und Achtziger zusammengestellt ist, ganz wie das der Chefin: Kelis hat ihre Afro-Haarpracht etwas gestutzt und zurückgelegt, trägt ein weißes, ausgebleichtes T-Shirt mit einem nicht mehr identifizierbaren Aufdruck und enge Jeans mit Schlag, großen Domestos-Flecken und Glitzerzeug drauf.

Ein guter Schlagzeuger, ein bulliger Keyborder (mit Hut) und ein Rapper vervollständigen Kelis’ Band, die dann über eine Stunde für ausgelassen-heitere Partystimmung sorgt. Erinnerungen an die Land-HipHopper Arrested Development werden wach, auch lustige Lagerfeuer am Meer kommen einem in den Sinn oder ein Happening mit Lauryn Hill. Was Vita, Straßencredibility und Soul anbetrifft, bestehen mit Hill ja sowieso einige Ähnlichkeiten, das Superstarbewusstsein und die damit einhergehende souveräne Sendungsbereitschaft gehen Kelis aber naturgemäß ab: Was schön ist.

„Kelis is not a phenomenon“ zitiert sie LL Cool J, ist so ganz unten mit allen und auch mit Lionel Richie, dessen „Hello“ sie in der Mitte ihres Gigs singt, begleitet nur vom Keyboarder. Da gehen dann im Publikum auch ein paar Feuerzeuge und Wunderkerzen an, was allerdings eher ironisch gemeint ist und als Zitat. Doch Kelis hätte diese Geste sicher auch ohne Brechung goutiert, so sehr verschmilzt sie mit Richies Schmachtfetzen. Bei „Caught Out There“ stehen dann alle Bandkolleginnen gleichberechtigt neben Kelis und schreien unentwegt „I hate you so much now“ aus ihren Kehlen. Als der Song dann noch einmal als Zugabe kommt, liegen sich im Publikum schließlich alle in den Armen. GERRIT BARTELS