Die Millionen-Party

Bei monatlichen Empfängen in Berlin treffen sich Internet-Gründer mit potenziellen Geldgebern.In ungezwungener Atmosphäre mit Sekt und Techno-Musik werden Millionendeals angebahnt
von
DIRK HEMPEL

Es ist wie damals, als Techno-Musik noch ein Geheimtipp war. Alle wissen, wann die Party „First Tuesday“ steigt: jeden ersten Dienstag im Monat. Nur den Ort geben die Veranstalter immer erst kurzfristig bekannt – am selben Tag so um die Mittagszeit.

Die ausgewählte Lokalität ist mal nobel, mal ausgeflippt, mal repräsentativ. Zum ersten Berliner „First Tuesday“ im Januar wurde ins Radison Plaza Hotel geladen, ein anderes mal traf man sich im Naturkundemuseum, in diesem Monat findet die Veranstaltung im Gebäude der Industrie- und Handelskammer statt. Techno-Sound erfüllt die Vorhalle des mit Glas und Aluminium verkleideten Neubaus. Sitzgelegenheiten gibt es keine, „First Tuesday“ ist eine Stehparty. Die geladenen Gäste – überwiegend leger gekleidete Leute bis 35 Jahre – sollen sich schließlich nicht nur amüsieren.

Denn trotz der lockeren Atmosphäre geht es bei Brezeln, Sekt und Selters in erster Linie ums Geschäft. „First Tuesday“ ist eine Partnerbörse der besonderen Art. Es geht um Millionen, die im ungünstigsten Fall verloren sind: um Risikokapital – neudeutsch: Venture Capital (VC).

Junge Unternehmer und solche, die es werden wollen, halten Ausschau nach Kapital und jenen, die es haben. Diese wiederum suchen erfolgversprechende Start-Ups der New Economy, von denen sie sich hohe Renditen erhoffen. Das Werben findet unter anderem auf einer Schiefertafel statt: „Mouse sucht Käse“ oder „Start-Up sucht VC-Geber“ heißt es da. Beliebter aber ist das persönliche Gespräch.

Und damit unmissverständlich klar ist, ob das Gegenüber ein Konkurrent oder möglicher Partner ist, sind alle Gäste farblich gekennzeichnet: Wer Geld hat, trägt einen roten Punkt, wer welches braucht, einen grünen oder blauen. Außer Konkurrenz laufende Unternehmensberater, Marketingstrategen und Rechtsanwälte sind gelb markiert.

Die Initiatoren achten bei Einladungen auf Ausgewogenheit zwischen den Farben. Dennoch sind unter den etwa 700 aufstrebenden jungen Leuten die roten Punkte deutlich unterrepräsentiert. Dabei sind diese Leute am stärksten gefragt.

Dirk Bernhardt, Leiter des Portfoliomanagaments bei der at-ag Venture Capital, ist einer von ihnen. Wie die meisten Teilnehmer ist er ohne Krawatte erschienen. Drei bis vier Kontakte knüpft Bernhardt pro Stunde – mehr als im Büro oder am Telefon. „Man weiß nie, wer herkommt, und findet immer interessante neue Ideen“, sagt er. Und er bekommt einen persönlichen Eindruck von den Möchtegern-Unternehmern, sieht nicht nur ihre Konzepte. Für Bernhardt ist das wichtig: „Oft ist ein guter Unternehmer mit einer mittelmäßigen Idee erfolgreicher als ein mittelmäßiger Gründer mit einem aussichtsreichen Plan.“

Stößt der Venture Capitalist auf ein interessantes Start-Up, ist eine Beteiligung von bis zu vier Millionen Mark drin – natürlich nur, wenn Bernhardt nach dem Partykontakt die Kalkulation des Start-Ups genauer unter die Lupe genommen hat. Denn die Geschäfte selbst werden später geschlossen. Die Begegnungen beim First Tuesday dienen nur dem ersten Beschnuppern und laufen fast immer gleich ab: Ein Blick aufs Namensschild – und vor allem die farbliche Kennzeichnung – dann ein Händedruck, das Austauschen von Visitenkarten. Beim ersten Smalltalk dreht sich alles um Software-Lösungen, Zielgruppen, First Customers, Marktanteile, rechtliche Probleme und Börsengänge.

„Es geht hier zu wie auf den Foren im alten Rom“, sagt Klaus Adomeit, Professor für Rechtsphilosophie und Rechtstheorie an der Freien Universität Berlin. Der grauhaarige Akademiker ist „überrascht und erfreut“, dass sich die Geschäftswelt von morgen in Disko-Atmosphäre zusammenfindet. In der Welt der New Economy, so Adomeit, kehre man offenbar zur historischen Form der mündlichen Vertragsschließung wie auf Marktplätzen zurück. Tatsächlich – und darauf verweisen die Organisatoren gern – verdanken einige Start-Ups die Finanzierung ihrer Geschäftsgründungen dem „First Tuesday“. Eine der Vorzeigefirmen ist die Kreuzberger yellout AG. Erst vor einem halben Jahr gegründet, steht das Unternehmen, das auf im Internet die gezielte Suche nach Dienstleistungsanbietern nach detaillierten Vorgaben ermöglicht, vor der Expansion nach Großbritannien und Frankreich. Das Geld dafür ist nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden Patrick Setzer vor allem durch Kontakte auf den „First Tuesday“-Treffen in die Kasse des Start-Ups geflossen. Beteiligungen in achtstelliger Höhe konnten die yellout-Gründer bei Risikokapitalgebern locker machen. Setzer und seine Partner sind damit, was all jene mit einem grünen Punkt am Revers gerne wären: nicht nur jung und emporstrebend, sondern erfolgreich und neureich.

Die VC-Gesellschaften sind wählerisch. Denn nur die erfolgreichsten der vielen Neugründungen überleben und bringen damit später Gewinne ein. Von zehn Start-Ups gehen neun ein, vom investierten Kapital bleibt dann nur noch das Risiko.

Obwohl es auch in Hamburg und in München „First Tuesday“-Initiativen gibt, entwickelt sich Berlin zunehmend zur wichtigsten Basis der neuen Gründergeneration. Außerdem findet sich hier, so wissen beispielsweise die Gründer der Rabbit Software AG aus München, die eigens für den Termin angereist sind, das qualitativ bedeutendere Risikokapital.

Nicht alle Gäste aber finden an diesem Abend geeignete Geschäftspartner. Vergeblich sucht etwa Wolfgang Zintchenko nach Kapitalgebern für eine Internet-Handelsplattform in der Umgebung von Königsberg. Sobald die potenziellen Partner „nur das Wort Russland hören, ist das Interesse erloschen“, stöhnt der Mittdreißiger. Alle dächten nur an Mafia, Zahlungsunfähigkeit und Schikane durch die Politik. Mit den Erfahrungen des Ostdeutschen deckt sich das gar nicht. Im Gegenteil: 1994 habe er Deutschland aus Frust über die miese Zahlungsmoral in der Baubranche verlassen und sei nun in Russland bisher erfolgreich.

Auch Claus Groß nimmt keinen Stapel gesammelter Visitenkarten, sondern nur seine Eindrücke mit nach Hause. Kein Wunder: Der Unternehmensberater gehört, wie er selber sagt, „durch und durch zur Old Economy“. Die Firma des 54-Jährigen ist nicht einmal im Internet vertreten. Auch wenn ihm der Abend keinen wirtschaftlichen Vorteil bringt und seine Musik-vorlieben nicht bedient werden, ist er begeistert: So eine Institution müsse es auch für die Old Economy geben, fordert Groß.

Die Kennenlernparty ist ein Import aus London. Die Organisatoren arbeiten ehrenamtlich, die Kosten werden von Sponsoren gedeckt – darunter das Investmenthaus Goldman Sachs, die Wirtschaftszeitung Handelsblatt, AOL Europe und die Industrie- und Handelskammer.

„Der rege Zuspruch zeigt, dass die Einrichtung wichtig und richtig ist“, sagt Organisatorin Jenny Kjörling. Die große Beteiligung dient außerdem als Argument für die kurzfristige Ortsankündigung: „Würden wir den Ort schon vorab veröffentlichen, kämen 2.000 Leute oder mehr“, so Kjörling. Die Gäste selbst sehen das anders: Die Geheimstuerei soll den „First Tuesday“ attraktiver machen, ist man sich an diesem Abend sicher. Der prominenteste Besucher findet die Veranstaltung jedenfalls „einfach super“: FDP-Chef Wolfgang Gerhardt bezeichnet die gesellige Suche nach künftigen Partnern als „qualitativen Sprung in ein modernes Wirtschaftsleben“. Obwohl er mit Anzug, Krawatte und streng gezogenem Scheitel offensichtlich gegen die lässige Kleidungsordnung der New Economy verstösst, fühlt er sich unter den angehenden Firmenchefs sichtlich wohl. Nach Angabe der Veranstalter ist er der erste Bundespolitiker, der den Berliner „First Tuesday“ besucht. Lokale Größen waren jedoch schon vor ihm da – welche, das verrät Kjörling nicht. Die Teilnehmerlisten seien nämlich „ein bißchen geheim“.

Zitat:Der Manager Dirk Bernhard:Man weiß nie, wer kommt, und findet immer interessante neue Ideen