Bilder mit Vorbehalt

Der Krieg im Kosovo war ein Krieg der Medien. Doch die Analyse der enormen Defizite beim Abbilden dieser Wirklichkeit beginnt erst jetzt

von STEFFEN GRIMBERG

Das Flüchtlingslager Blace gleich hinter der Grenze in Mazedonien war eines der größten des Kosovo-Krieges. Anfang April 1999 war es plötzlich verlassen, und die deutschen Morgennachrichten übertrafen sich in Spekulation darüber, was geschehen war. Wie jeden Tag waren die Teams von ARD und ZDF gegen neun Uhr zum Lager gefahren, wie immer hatten sie bis gegen 15 Uhr dort ausgeharrt. Dann, spätestens, „mussten alle heim zum Produzieren“. Um 17 Uhr kamen die Busse und Traktoren, unter massivem serbischem Druck, so später das UN-Flüchtlingshilfswerk, wurden die meisten Flüchtlinge aus dem Kosovo zwangsweise repatriiert. Doch für die westlichen Medien, eingebunden in Terminvorgaben aus der Heimat, war an diesem Tag der Krieg schon zu Ende.

Diese Miszelle, erzählt von ZDF-Reporter Jörg-Hendrick Brase bei den diesjährigen „Mainzer Tagen der Fernsehkritik“, beleuchtet eines der Grundprobleme der Medien im Krieg: Spätestens seitdem CNN zum Maßstab für internationales Nachrichtenfernsehen geworden ist, versuchen alle Sender, das Konzept der rolling news, der permanenten Berichterstattung aus Krisengebieten, zu imitieren. Fast immer mit deutlich weniger Personal und viel kleinerem Budget, dafür mit oft überzogenen Erwartungen der Heimatsender. Weitab vom Geschehen regiert dort die Konkurrenz der Nachrichten mit den anderen Programmen, aber auch der einzelnen Nachrichtensendungen untereinander: Wenn’s irgend geht, hätte die „Tagesschau“ um 20 Uhr eben doch gern einen anderen Film als die „Tagesthemen“, es sei denn, die ARD schiebt aktuell auch noch einen „Brennpunkt“ ein. (Fürs ZDF gilt natürlich dasselbe.)

Der Korrespondent saß also ab dem Nachmittag brav im Studio und produzierte. Die Nato-Pressekonferenzen im fernen Brüssel begannen dafür immer erst um 15 Uhr – wegen der Zeitverschiebung Richtung USA, doch eben auch mit der Gewissheit, dass für die Überprüfung der neuesten Erfolgsbilanz kaum Zeit war: Die Journalisten vor Ort konnten maximal noch versuchen, sich telefonisch „Klarheit“ zu verschaffen.

Außerdem müssen sich auch bei ARD und ZDF Sondersendungen an der Quotenfront bewähren: Ein „brennpunkt“ hält bei den Verantwortlichen im „Ersten“ nur dann leichten Herzens Einzug ins Programm, wenn die erwartete Zuschauerzahl ungefähr der der verdrängten oder verschobenen Sendung entspricht. „Relevanz des Ereignisses“, „Zugriffsmöglichkeit“ für den Sender und nicht zuletzt eben „Popularität“ sind für ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann Grundlagen des Nachrichtengeschäfts. So steht für ihn die Relevanz des Bürgerkriegs in Sierra Leone außer Frage. Allein: „Wir haben ein Zugriffsproblem, es ist zu heftig, um dort jemanden hinzuschicken.“ Und selbst wenn dies gelänge, stellt sich die Frage „wann senden? – Sicherlich nicht zur prime time.

Doch selbst wenn „Sendeflächen“ vorhanden sind, vielleicht sogar zur besten Sendezeit: TV-Nachrichten vermitteln höchstens Medienrealität, aber keine Wirklichkeit – „wir können immer nur auf ihren Ausschnittscharakter hinweisen“, sagt Patrick Leclercq, zweiter Chefredakteur bei ARD aktuell in Hamburg. „Es dauert Jahre, bis nach einem Krieg ein richtiges Bild entsteht.“

Denn woher viele der gesendeten Aufnahmen wirklich stammen, ist heute unsicherer denn je. Weil die Korrespondenten durch die Produktion von „Nachrichtenkugeln am laufenden Band“ (WDR-Korrespondentin Sonia Mikich) überlastet sind, wird mehr und mehr Material freier Kamerateams angekauft, ohne dass in jedem Fall die Authentizität des Materials geprüft werden kann. Mikich hat seit ihrem Einsatz im Tschetschenien-Krieg vor, hierüber einen Film zu machen: woher die Bilder kommen, wer sie anbietet, welche Interessen dahinter stecken. Bislang hat sich kein Abnehmer für einen solchen Beitrag zum Bilderkrieg gefunden.