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bin ich ein volksfeind? von WIGLAF DROSTE

Anfang Juni wurde das Schatzkästlein des öffentlichen Wissens um die Information erweitert, dass der Berliner Publizist Michael Rutschky „immer gern Auto gefahren“ ist. Das ist ja hochinteressant, dachte ich und las die Autopassage in Rutschkys Essay gleich noch einmal: „Und was halten Sie von Rezzo Schlauchs Apologie des Autos? Wie die Grünen wieder mal eine Position aufweichen, bloß der Teilhabe an der Regierungsmacht willen? – Nun, hier kann ich zur Abwechslung mal im Brustton antworten: Ich bin immer gern Auto gefahren, und ich halte die orthodoxe grüne Position seit langem für volksfeindlich. Es käme darauf an, das Auto als kulturelle Errungenschaft der Massen zu explorieren.“

Wenn im Film Autos explodieren, ist das meist sehr langweilig. Das Auto explorieren – also entdecken – dagegen ist aufregend. Man sieht Michael Rutschky im ölverschmierten Blaumann durch die Geschichte taumeln, auf der Suche nach dem Erfinder des Volkswagens. Nach einer langen Expedition findet Rutschky am Ende der Welt einen kleinen, verhuschten Konstrukteur. Rutschky geht auf ihn zu und sagt feierlich: „Dr. Porsche, I presume?“ Ferdinand Porsche drückt vor Rührung eine Träne ab. Dann schraubt er weiter.

So könnte sie sich abspielen, die Explorierung des Autos als kulturelle Errungenschaft der Massen. Als ich Rutschkys Aufsatz las, war ich gerade für einige Tage im Autoparadies Essen. Ich wohnte direkt an der Alfredstraße. Der Verkehrslärm dort ist so groß, dass auch bei geschlossenen Fenstern und heruntergelassenen Jalousien kein Schlaf zu haben ist; nur zwischen halb drei und halb fünf morgens konnte ich ein wenig nickern – have a nap, wie der Engländer sagt. Ich hatte viel Zeit, die Ausführungen des Essayisten zu bedenken. Besonders das Wort „volksfeindlich“ tat es mir an; ich hatte es so lange nicht mehr gehört. Eines späten Abends erschien mir Herr Rutschky in einem Wachtraum. Er sah aus wie blank gebohnert und rief mir zu, was er meinte. Leider konnte ich ihn nicht verstehen – die Autos waren zu laut. Rutschky verschwand, und ich fragte mich: Wenn Leute, die beim Anblick eines Autohofs nicht das Singen anfangen, „volksfeindlich“ sind – wer ist dann ein Volksfreund? Michael Schumacher, das champagnerspritzende Bananenkinn? Huschke von Hanstein? Der Chefredakteur der Zeitschrift Autor Rutschky Sport? Die Vorstandsmitglieder des ADAC? Oder Rezzo Schlauch, der alles, was er im Leben je von sich gab, anderen nachquakelt, weil sie ihm gerade erfolgreich scheinen? Muss man solch ein geistiges Rosinenbrötchen sein, um es zum Volksfreund zu bringen? Ist der Volksfreund einer, der geschwollen zu den Dummen spricht, um sie glauben zu machen, sie seien so klug wie er?

Das Volk ist immer das, was diejenigen, die über das Volk reden, gerade brauchen. Was eben noch eine Ansammlung von Badelatschen tragenden Bollos oder ein Brandenburger Lynchmob war, kann schon morgen als heroisches „Wir sind das Volk!“-Volk exploriert werden. Und wer dann nicht mitjubelt, ist ein Volksfeind.

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