Ovo Maltine an der Semperoper

„Wogegen demonstrieren Sie?“ Die Touristin fragt in empörtem Tonfall. Der Hinweis, es handele sich bei dem nahe der Semperoper vorbeispazierenden Völkchen um eine schwul-lesbische Demo, lässt die ältere Dame beruhigt aufatmen: „Ach so.“ Fünfhundert Menschen haben die Organisatoren von „Gerede e.V.“ – in Langfassung: Dresdner Schwulen, Lesben und alle Anderen e.V. – angemeldet. Motto: „Lieber Vielfalt in den Lebensweisen, als mit Einfalt auf die Regeln weisen“.

Die Technik meint es nicht gut mit dem siebten Dresdner CSD, deshalb bleiben die Passanten von Lautsprecherparolen verschont. Luftballons in Regenbogenfahnen, einige Händchen haltende Homopaare und wenige gemäßigt exzentrisch gekleidete Leute – so geht die nette Ankündigung eines Anzeigenblattes halbwegs in Erfüllung, „sehr bunt und auch ein wenig verrückt“ werde es wieder zugehen.

Zum Abschluss beim Straßenfest in der Fußgängerzone werden zwei Homopaare, eines weiblich, eines männlich, symbolisch getraut und bekommen die von einem Reisebüro gesponserte Stadtrundfahrt mit Übernachtung in Prag geschenkt. Dass sich die beiden Schwulen vermählen, findet die moderierende Berliner Kabaretttunte Ovo Maltine voll daneben und sagt es auch.

Ingrid Biedenkopf lehnte die ihr angetragene CSD-Schirmfrauschaft ab. Also erbarmte sich der städtische Kulturdezernent Jörg Stüdemann, der aber nicht persönlich erschien, als eigentlich Zeit für sein Grußwort war. Das passte nur zu gut: An den Mehrheitsverhältnissen im Stadtratsausschuss von Dresden war gescheitert, das Rathaus mit einer Regenbogenfahne zu schmücken.

Einen Lesben- und Schwulenbeauftragten hat Dresden auch nicht mehr, und rechtzeitig vor dem CSD wurde „Gerede e.V.“ die Kürzung von einem Sechstel seiner ohnehin spärlichen Förderung in Aussicht gestellt. Mit tausend Mark Spenden von Landtagsabgeordneten und fünfhundert Mark von der Bundestagsabgeordneten Christina Schenk verschaffte die PDS in Form zweier Schecks zum CSD der Finanznot ein wenig Linderung. Dafür durfte dann am nächsten Tag beim Politbrunch im Garten der schwulen Neustädter Cocktailbar „Roses“ die PDS-Landtagsabgeordnete Cornelia Ernst behutsam nörgeln, der Dresdner CSD sei „etwas bieder gewesen“.

Kai-Pierre Thieß, ein aus Hamburg stammender Achtzehnjähriger, der als Pressesprecher des sächsischen CSD wirkte, findet am CSD in Dresden schön, dass er noch nicht so groß und kommerziell sei. 1995 fand der erste CSD-Umzug statt mit etwa hundert Teilnehmern. Insofern kann man sagen: Es entwickelt sich. Natürlich in ziemlich gemütlicher Weise, wie das eben in Sachsen üblich ist.

MARCEL BRAUMANN