Stoff zum Knobeln

■ In der Städtischen Galerie ergänzen sich Bohnensuppe, IRA-Aktivist, Kreis und 793 weitere Dinge zu einem aufsehenerregenden Setzbild zum Thema Porträt&Kunst

Aufgabe de-r Städtischen Galerie im Buntentor ist die Hege und Pflege der hiesigen Künstlerschaft. Dementsprechend dringt ihre Strahlkraft in einen Umkreis vor, der etwa bis ins liebliche Visselhövvede hinanreicht. Heikle Frage: Wie kommt solch qualitätsvolle, doch nicht eben berühmte Adresse an die großen Stars der Kunstszene ran? Landbewohner und Künstler Wolfgang Hainke kennt eine Antwort von grandioser Einfachheit: Anrufen! Ihm (und seinem mutigen, unternehmungslustigen Telefon) ist es zu verdanken, dass sich nun Pop-art-Star Richard Hamilton, Fluxus-Altvater Emmett Williams, Sex-Pistols-Erfinder und Londoner Ex-beinahe-Bürgermeister Malcolm McLaren (er forderte „Bars in öffentlichen Bibliotheken“), Hans Haacke (genannt „der-Schreck-aller-Abgeordneten“) in der Städtischen ein Stelldichein geben mit den BremerInnen Harald Falkenhagen, Norbert Schwontkowski und vielen anderen, und zwar ohne jegliche Niveau-Kluft. (Sieht man mal wieder, wie fragwürdig Ruhm und Ehre in der Bildenden Kunst sind.)

Diese 20 KünstlerInnen aus Bremen und Umzu (USA, Japan ...) versammeln sich nicht zu einer Ausstellung, sondern zu einer „begehbaren Installation“. Anstoß ist die derzeitige Schau im Focke-Museum „Kunst und Bürgerglanz“. Die dort gezeigten repräsentativen Porträts aus vier Jahrhunderten erzwingen nachgerade eine kritische/spielerische Auseinandersetzung mit einer Kunst, die kaum anderes im Sinn hat als das Selbstverständnis einer Klasse zu zementieren. Natürlich wird diese Herrschafts-Kultur in der Städtischen Galerie kontrapunktiert. Das versteckte zweite Gesicht hinter der gemächlichen Bürgerkultur wird sichtbar: ein kleiner farbiger (Ghetto?)-Junge, der verschreckt mit einer Pistole auf den (weißen?) Betrachter zielt (Marie-Jo Lafontaine); ein IRA-Häftling, der sich im Hungerstreik immer mehr einer romantischen Christusdarstellung anverwandelt (Hamilton) – ehe er verreckt; Hunderte von kolonialisierten Indios, die im Überseemuseum numeriert und abgeheftet wurden: Die Fratzen des Kapitalismus (so durfte man das in früheren Zeiten nennen).

Aber Hainke wäre nicht Hainke, wenn er Kunst zum Wurmfortsatz der Soziologie verkommen ließe. Sein heiligster Ehrgeiz ist es, einen begrenzten Raum mit möglichst viel Verweisen und Querverbindungen vollzustopfen: ein echter Systemtheoretiker. In der gegenwärtigen Ausstellung sind es genau 796 Verweise (wir haben für Sie nachgezählt): Rem Koolhaasens antigemütliche Architekturtheorie, ein amerikanischer Gassenhauer der 20er Jahre mit dem Titel „Boulevard of broken Dreams“, Norman Fosters schniek-langweilige Trambahnhaltestellen, Installationen von Reinhard Mucha zu Geschichte und Verfall deutscher Bahnhöfen, die Privatbibliothek des Kölner Buchhändlers König ... Das Irre dabei: es funktioniert. Das Thema Porträt ist riesig genug, um alles widerzuspiegeln, was irgendwie mit Identitätsproblematik zu tun hat. Und was hat bei uns Ego-Versessenen schon NICHT mit der Identitätsproblematik zu tun (außer vielleicht die Sibirische Stechmücke)?

Gegenseitig widerspiegeln tun sich übrigens auch die 20 Arbeiten selbst, nämlich in Acrylglas. Es sind (meist) Fotografien von identischem Format, die Hainkes in Leuchtreklamekästen gesteckt hat, wie sie auf Bahnhofsplätzen und Bushaltestellen von Nowosibirsk bis Patagonien anzutreffen sind, vollgestopft mit Marlboro-Cowboys und Fanta-Kids. Sie sind zu einer Geraden aneinandergereiht, was eine Mischung aus Bahnlinie (weiter) und Haltestelle (stopp) ergibt.

Vor knapp drei Jahren wurden in dieser Stadt neue Plakatwerbung-Leuchtkästen aufgestellt und erstmal großzügigerweise mit Kunst gefüllt. Doch kaum ein Passant hat das damals als Kunst wahrgenommen: Werbung siegte über Kunst. Irgendwie witzig, dass jetzt dieses Stückchen Straßenalltag ins Museum geholt wurde. In diesen Werberahmen haben sich nun ein meditierender Bettelmönch, abstrakte Muster, das Wohnzimmer von Antiquitätensammler Hockemeyer, eine chinesische Zirkusartistin etc. breit gemacht. Und wie bei den russischen Babuschkas steckt hinter jedem Verweis ein neuer Verweis. Wer produziert die Erdsäckchen für Hans Haackes Bundestagsinstallation „Die Bevölkerung“? Natürlich Bremer Bürger. Wo sitzt Hainkes meditierender Bettelmönch? Vor Aluteilen aus der Bremer Mercedes-Produktionsstätte. Die Bilder von 13 Bremer Bürgermeistern seit dem Dreißigjährigen Krieg haben übrigens auch ihren Weg in die Städtische gefunden; nachdem sie aus einer Bremer Gastwirtschaft aussortiert wurden. Preis der Bohnensuppe während ihres Gaststättenaufenthalts: 77 Pfennige – auch ein unverzichtbarer Aspekt Bremer Bürgerlichkeit. Der Klasse-Espresso im Ausstellungscafe dagegen ist gesponsert von Azul: alles Stoff zum Nachdenken und Verknüpfen.

bk

Bis 20. August