Modernisierungsmaßnahme

Eigentlich hätte im Haus alles so bleiben können, wie es war. Aber auf einmal sprechen Bauarbeiter im Flur Sachen wie:„Helmut!!“ – „Jo?“ – „Warte mal!“ – „Wat is?“ – „Na hier.“ – „Ach so.“ Erfahrungen während eines Wohnungsumbaus

von JOCHEN SCHMIDT

Was macht eigentlich der junge Mann aus dem berüchtigten Bezirk Friedrichshain, der im Januar Rosa Luxemburgs Demonstration angreifen wollte, weil Rosa damals nichts gegen die PDS getan hatte und weil die PDS jetzt nichts dagegen getan hatte, dass sein Haus, kurz bevor er anzündete, modernisiert worden war? Als im letzten Sommer mein Haus modernisiert worden ist, habe ich auch oft mit dem Gedanken gespielt, mir die PDS vorzuknöpfen. Von der war nämlich weit und breit nichts zu sehen. Und was als Modernisierung angekündigt worden war, hatte sich als Trainingscamp für den Kosovokrieg entpuppt.

Jeden Morgen kamen diese fleißigen Bienchen, Leute wie du und ich, die aber was ganz anderes machen als du und ich. Die tauchen mit den Händen tief in den Dreck der Jahrhunderte, und wenn sie sie herausziehen, kleben dicke Goldklumpen dran. Zuerst kamen polnischsprachige Polen und haben den Putz weggehämmert, davon bin ich natürlich prompt aufgewacht. Ich hatte gedacht, wenn sie wie angekündigt um sieben anfangen, sind sie am Nachmittag bei meiner Etage angekommen, aber denkste, ein Facharbeiter im Putzabklopfen fängt natürlich von oben an und guckt mir schon um halb acht ins Zimmer.

Dann kamen die Ofenabreißer von der Humboldt-Universität. Sie fanden mein Außenklo am gemütlichsten, trauten sich aber nicht, es mir zu sagen. Ich habe einen von ihnen da eingeschlossen und erst rausgelassen, als er mir meine Semantik-Hausarbeit fertiggeschrieben hatte. Dann kamen Spezialisten aus Sizilien und malten die Fassade cremig an. Ihr Boss trug einen schwarzen Anzug und sah ihnen den ganzen Tag lang schweigend und rauchend bei der Arbeit zu. Aber insgeheim observierte er nur den Mann von der Russenmafia, der die Fußböden abschliff. Bei dem ganzen Betrieb stand ich immer stundenlang an meiner Wohnungstür und horchte, wenn ich auf mein Klo wollte. Ich wollte ja nicht, dass sich überall in der Stadt rumsprach, dass ich tagsüber aufs Klo gehe. Aber irgendwann wurde es mir zu bunt, und ich ging einfach raus. Da stand vor meinem Außenklo eine Gipswand, eine von denen, die sie immer Rigipswand nennen, um anzugeben, ich sage aber lieber Gipswand, weil ich nicht weiß, wie sich Rigips schreibt. Ich konnte jedenfalls nicht auf mein Klo, und das war sonst immer meine einzige Freude gewesen. Da sagte ein Bauarbeiter: „Musste uffn Topp?“ – „Is nich eilig.“ –„Na warte, ick stell ditt weg.“ Als hätte ich das nicht selbst gekonnt, die nahmen mich einfach nicht für voll.

Wenn ich dann aus dem Haus ging, um mir eines meiner wenigen Brötchen zu verdienen, überraschten sie mich mit einem Begrüßungsschneesturm aus Staub. Wenn man durch den herunterprasselnden Putz durchwollte, rief unten einer: „Helmut!!“ – „Jo?“ – „Warte mal!“ – „Wat is?“ – „Na hier.“ – „Ach so“, und man konnte vorbei, während sie einem mitleidig hinterherguckten, weil man noch nicht mitmachen durfte bei der Arbeit.

Von mir aus hätte im Haus alles so bleiben können, wie es war, aber das ist wohl das Gesetz der Veränderung, das damals dieser Grieche aufgebracht hat. Ich habe mich dreingefügt und meine Wohnung in die Nebenwohnung getragen. Dann bin ich nach Moskau gefahren, wo sie keine Häuser modernisieren, sondern lieber ein neues daneben bauen. Das alte lassen sie zerfallen, oder sie sprengen es, was manchmal missverstanden wird. Als ich nach einem Monat wieder zurückkam, rief jemand: „In Deckung, er kommt!“, es rappelte überall, und auf allen meinen Gegenständen lag eine Staubschicht, als seien sie von früher und sehr wertvoll. Meine alte Wohnung, in die ich am Tag meiner Rückkehr wieder einziehen sollte, stand offen und sah genau wie vorher aus, nur ein bisschen kaputter. Als ich auf mein Außenklo gehen wollte, guckten mich die Füße von einem an, der ein Stockwerk höher stand, es war unmöglich, sich da hinzusetzen, schon weil es gar keine Kloschüssel mehr gab.

Ich machte mich an die Arbeit, es half ja nix, ich leckte alles wieder sauber und hob den Staub zum Beweis in kleinen Streichholzschachteln auf. Dabei erkannte ich überhaupt nur die Hälfte von dem Kram wieder, das meiste hatte meiner Meinung nach nie mir gehört. Ich hatte eigentlich immer nur grüne Grünpflanzen gehabt und keine braunen. Und ich hatte nie so schwere Bücher besessen. Ich konnte mich auch nicht erinnern, eine Leiche in den Küchenschrank gestopft zu haben, und noch dazu so ungeschickt, dass das Geschirr nicht mehr reinpasste. Ich war sauer auf diese Baubrigaden, ich konnte es ihnen nur nicht sagen, weil ich immer die falsche Sprache erwischte. Und wenn man seinen Ärger nicht gleich loswird, muss man ja immer ein Jahr warten, bis zur nächsten Karl-und-Rosa-Demo.

Als der Hausbesitzer sich endlich einmal blicken ließ, hielt er dem Bauleiter aus München einen Vortrag: „Die erste Million war noch schwer, aber dann geht das wie von selbst“, sagte er und sah sich die Putzarbeiten an: „Wie kann denn das so lange dauern, das schaff ich ja selber in drei Tagen mit ’ner Maurerkelle.“ Er ist ein Rechtsanwalt mit einem Faible für kulturelle Events. Er lässt gerne Künstler bunte Pappkühe an seine Fassaden kleben und schläft dann besser ein, wenn er an sein gutes Herz denkt.

Im Herbst ist wieder Ruhe eingekehrt, nur noch vereinzelte Explosionen und kleinere Schießereien zwischen den Nationalitäten. Ich schickte sie dazu in den Keller, aber da stießen sie auf ein Zigarettendepot der Vietnamesen vom S-Bahnhof Schönhauser. Deshalb hatten die da immer an der Ecke gestanden, ich hatte schon gedacht, die wüssten nichts mit sich anzufangen.

Ich bin zurückgezogen in meine alte Wohnung, die jetzt Maisonette hieß und nicht mehr so peinlich billig war. Ich habe meinen angeblichen Besitz ans Märkische Museum verkauft, und, um die Wohnung wieder in den alten Zustand zu bringen, eine Einweihungsparty veranstaltet. Die meisten haben gar nicht gemerkt, dass ich kein Außenklo mehr habe, und sich nur gewundert, dass der Lichtschalter nicht zum Spülen da war. Die blöde Leiche aus dem Küchenschrank habe ich einfach an die Fassade geklebt. Bis jetzt hat noch keiner gemerkt, dass es gar keine wirkliche Kunst ist, aber das ist ja gerade der Witz an wirklicher Kunst.