„Hab’ es ihm nicht gegönnt“

Vor einer Woche hat John aus Potsdam bei „Big Brother“ gewonnen. Sein früherer Hausbesetzer-Kumpel Jörn, der heute noch in einem besetzten Haus wohnt, erinnert sich an den Einzelgänger John

Interview von PHILIPP GESSLER

taz: Jörn, du hast mit „Big Brother“-Sieger John etwa anderthalb Jahre lang in einem besetzten Haus zusammengelebt. Wie hast du ihn kennen gelernt?

Jörn: Daran kann ich mich nicht mehr recht erinnern. Aber wir haben damals eben zusammen im „Archiv“ gewohnt und ein Kulturzentrum daraus gemacht, nachdem die „Fabrik“ und die „Hegelallee“ geräumt worden sind – das war ja so eine Folge. Da gab es einen Haufen Leute, die damals ins „Archiv“ gezogen sind. Er war einer davon. Da Leute gesucht wurden, die da einziehen, weil es ein großes Haus ist, wurde nicht groß geguckt, wer da einzieht.

Was war dein erster Eindruck von ihm?

Der war ziemlich ruhig. Ich habe nicht sonderlich viel mit ihm zu tun gehabt. Er hat ziemlich separat gelebt. Im Nachhinein habe ich mir gedacht, dass er ein relativer Einzelgänger war.

Bei den meisten Zuschauern von „Big Brother“ kam John als sympathischer Kerl rüber.

So kam er wohl rüber. Ich habe „Big Brother“ nur ein einziges Mal gesehen. Ich fand, was er da abgezogen hat, echt komisch: mit seiner Schwulen-Verarschung und so. Also er hielt es ja wohl für extrem lustig, so schwul zu reden. Das fand ich erst einmal ganz schön befremdend, weil, wenn man in besetzten Häusern wohnt und sich als Linker identifiziert, auch für so etwas offen sein sollte. Wenn man sich in einen Raum stellt, der videoüberwacht wird, hat man eine gewisse Verantwortung. Generell ist eh’ keine Akzeptanz für Homosexualität da. Da sollte man doch vorsichtig sein.

Hat dich überrascht, dass John bei „Big Brother“ mitmacht?

Extrem, ja. Ich hatte schon seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Dann wurde ich von Freunden angesprochen: „Weeßte, John macht da mit.“ Ich habe erst einmal drei Stunden gebraucht, um mich zu erinnern, wer John war (lacht). Irgendwann hat’s dann klick gemacht. Ich konnte es wirklich nicht verstehen. Ich finde es mysteriös, wie man bei so etwas mitmachen kann, wenn es nicht um die Kohle geht.

Hast du „Big Brother“ wegen ihm geguckt?

Nee, das war Zufall, dass ich den mal da drin gesehen habe. Ich fand die Idee schon pervers. Es war auch nicht besonders clever, dem Ganzen noch den Namen von einem Buch zu geben, das solche Überwachungssachen extrem kritisch sieht. Das geht ja auf George Orwells „1984“ zurück. Da ist „Big Brother“ etwas Negatives. Dagegen wird es im Fernsehen ja eher verharmlost und als etwas Positives dargestellt: „Wir gucken jetzt mal, wie sich die Leute da bewähren und was sie machen. Dann geben wir ihnen noch ganz viel Geld dafür.“ „Big Brother“ steht doch für einen Überwachungsstaat. Wenn man gleichzeitig sieht, etwa hier in Potsdam, wie die Überwachung in den Städten immer mehr ausgebaut wird, wie immer mehr Gebäude von Kameras überwacht werden – da sind solche Sendungen eher ein Wegbereiter für so etwas. Da wird eine Akzeptanz geschaffen. Da wird dieser Name „Big Brother“ verkauft. Genauso wie bestimmte Namen mit Bedeutungen wertlos gemacht werden, indem sie vermarktet werden. „Revolution“ etwa. Da ist von der „Revolution“ durch ein neues Auto die Rede. Dabei stellt „Revolution“ doch immer einen Gesellschaftsumschwung dar.

Ein herausstechendes Merkmal Johns im Container war offensichtlich, dass er für die anderen gebacken und gekocht hat. Hat er das schon damals im besetzten Haus gemacht?

Weiß nicht so recht. Aber kann sein. Es gab einen Unterschied zwischen ihm und mir: Ich ernähre mich vegan und er nicht. Deshalb war es nicht unbedingt für mich, wenn er da gekocht hat. Vielleicht hat er mich deshalb nicht dazugezogen. Aber die Leute sind schon mit ihm klar gekommen.

„Big Brother“ war doch ein reines Kommerz-Ding.

Schon. Wir haben eine zwiespältige Meinung dazu. Ich kann es eigentlich nicht verstehen, wie man sich in einem Bunker Tag und Nacht überwachen lassen kann. Ich habe eher durch Zufall den Entscheid zum Schluss gesehen. Ich fand es schon merkwürdig, was er da für Sprüche abgelassen hat. Dass er angeblich schon nach dem ersten Tag nicht mehr daran gedacht habe, dass die Kameras da sind. Für mich wäre das immer allgegenwärtig. Das ist nichts anderes, als wenn ich in der Zelle im Knast sitze und immer damit rechne, dass jemand durch den Spion kuckt.

Welche Wirkung hatte Johns Aufenthalt im „Big Brother“-Container in der Hausbesetzer-Szene? Kann er sich da überhaupt noch blicken lassen?

Ich glaube, das macht er von sich aus nicht mehr. Der ist ja irgendwann aus dem „Archiv“ ausgezogen in eine Wohnung – wahrscheinlich, weil er was Sicheres haben wollte. Seine Beweggründe kenne ich nicht wirklich. Er wollte mit seiner Freundin zusammenleben und der Gefahr, geräumt zu werden, nicht mehr ausgesetzt sein. Er hat einfach nicht mehr viel damit zu tun. Das hat mich auch daran genervt, dass immer bei ihm von dem großen Hausbesetzer die Rede war, wo er doch nur zwei Jahre oder so in einem Haus mitgewohnt hat, aber nicht wirklich aktiv Hausbesetzer war. Wird aber doch immer so dargestellt.

Hast du dich denn trotzdem gefreut, dass er gewonnen hat?

Als der Entscheid kam, habe ich mich super geärgert. Ich habe es ihm einfach nicht gegönnt. Ich dachte mir: „Das kann nicht wahr sein.“ Im Nachhinein finde ich es lustig, weil jetzt jeder von Potsdams Hausbesetzern redet. Da wir eh schon immer überlegt haben: „Wie kommen wir aus unserem Kreis heraus? Wie erreicht man Leute, die normalerweise nicht so offen sind für Hausbesetzer?“ – Das hat der jetzt alles für uns gemacht. Da brauchen wir uns gar keinen Kopp mehr machen. Alle denken über Hausbesetzen nach. Das ist natürlich nicht schlecht. Das ist ’ne nette Publicity.

Ansonsten: Tja, so wie ich gehört habe, hat er sich auch relativ fair gegenüber den anderen, die nicht gewonnen haben, verhalten und Geld gegeben.

Könnte ihm die WG-Erfahrung in einem besetzten Haus geholfen haben, zusammen mit anderen Leuten im Container zu leben und zurechtzukommen?

Ich denke, dass das als eine Voraussetzung für so eine Situation auf jeden Fall günstig ist. Viele von den Leuten, die mitgemacht haben, werden da überhaupt keine Erfahrungen mitgebracht haben: Die werden bei ihren Eltern gelebt haben oder so. Die sind bestimmten Spannungssituationen gar nicht gewachsen.

Glaubst du, John ist jetzt schon so weit weg von eurer Szene, dass er keine Freundschaft mehr zu euch empfindet?

Das denke ich mal. Ja.

Dennoch gab es nach dem Sieg so eine Art Demo von euch. Aber das Ziel war nicht unbedingt, ihm zu gratulieren.

Nicht im geringsten. Mit der Demo haben wir gegen die Räumung des „Boumann’s“ (besetztes Haus und Kulturzentrum, Anm. d. Red.) protestiert. Das hatte wirklich nicht viel mit ihm zu tun. Das wäre vielleicht anders gewesen, wenn er da gewohnt hätte. Wenn er da gewohnt hätte, dann hätten sie vielleicht nicht geräumt. Vielleicht hätte man ihn vorher anrufen sollen. Aber da war er ja gerade in seinem Bunker (lacht).

John hat einen Vertrag unterschrieben, dass die Produktionsfirma von „Big Brother“ einen hohen Prozentsatz seiner Einkünfte im Zusammenhang mit der Sendung erhält. Kannst du verstehen, dass er dieser Vermarktung zugestimmt hat?

Nicht im Geringsten. Ich würde mich nicht so vermarkten. Ich bin der Meinung, dass man die Sachen, die man macht, möglichst allein machen sollte – ohne irgendwelche großen Firmen oder so. Aber ich habe sicher auch nicht die Ziele, die er hat.

Welche Ziele hat er denn?

Das ist eine gute Frage. Ich denke schon, dass er mit dem Gedanken mitgemacht hat, irgendwelche anderen Verträge zu bekommen – Filmverträge oder so etwas. Und damit vielleicht seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, indem er in irgendwelchen 08/15-Serien mitspielt, als der Böse oder der Liebe oder was weiß ich. Kann er ja beides anscheinend ganz gut jetzt.

John will wohl eine CD machen, obwohl er zugibt, nicht singen zu können.

(lacht) Zlatko kann ja auch nicht singen, oder? Dann kann er auch eine CD machen.

Hast Du ihn mal singen gehört?

Nee.

Würdest du dir die CD kaufen?

(lacht) Glaub’ nicht. Aber die muss man wahrscheinlich eh’ öfter im Radio hören.

Was sollte er denn mit der Siegesprämie machen?

Er könnte uns zum Beispiel das „Boumann’s“ kaufen (lacht). Das wäre eine sehr feine Sache von ihm. Wenn er sich schon ein Haus kaufen will. Ein Zimmer ist noch frei. Da kann er gern mit einziehen.

Könntest du dir denn vorstellen, mal so etwas zu machen?

Nicht im geringsten. Mir reicht es, wenn ich wegen irgendwelchen lächerlichen Sachen für vier Tage im Knast bin. Warum soll ich mich für drei Monate einsperren lassen? (lacht) Nee, muss wirklich nicht sein.