: SOS Tiefgang
■ Sylvia Richter ging mit der Inszenierung von Bonds „Die See“ schrecklich baden
Stockfinsterer Raum, tosende See. Schreie um Rettung schneiden in das Dunkel. Lichtkegel durchsuchen die Finsternis. Vergeblich. Die Oldenburger Inszenierung von Edward Bonds „Die See“ geht sogleich nach diesem ersten Bild baden. Die Regiearbeit von Sylvia Richter zeichnet sich durch Unentschiedenheit aus, was nicht nur auf hoher, englischer See, sondern eben auch auf den harten Theaterbrettern meist zur Havarie führt.
Es fängt alles ganz gemütlich naturalistisch an: Im Laden des Tuchhändlers Hatch, der die blasierte und energische Upperclasslady Louise Rafy bedient. Die Dame lässt gerne Bestelltes zurückgehen und ruiniert damit den blassen Zyniker Hatch, der von Thomas Lichtenstein gewohnt souverän ausgeleuchtet wird. Der Gedemütigte entwickelt die fixe Idee, Außerirdische nähmen Besitz von den Hirnen gewisser Mitmenschen, um die Aufrichtigen zu vernichten.
Auch die Havarierten sind nur Teil der Verschwörung, ebenso natürlich Mrs. Rafi. Unterstützt wird Hatch in seinem zunehmend irren Treiben von zwei Freiwilligen der Küstenwache, Thompson und Hollarcut. Letzterer, verkörpert von Martin Wangler, wird als lispelnder Depp völlig peinlich überzeichnet. Und dieser angeblich komische Strang der Inszenierung wirkt einfach nur nervtötend, weil er keine Richtung hat, damit auch kein Tempo, kein gar nix. Denn die Regie liebäugelt dann auch noch mit dem tragischen Moment, mit der Tiefe, also sowohl der psychologischen als auch der mythologischen.
Der Stoff dazu: Orpheus und Euridyke, die in einer von Klamauk nicht zu überbietenden Szene von einer hysterischen Frauentheatergruppe unter Mrs. Rafy eingeübt werden. In diesem „tragischen“ Strang schaukelt irgendwann eine verschollene Leiche auf den Strand zu. Einmal entdeckt, entlockt der aufgedunsene Leib der Verlobten (Sabine Falkenberg) ein furchtbar unglückliches englisch distanziertes „oops“, und das war`s dann mit der Tragik.
An diesem Knotenpunkt von Tragödie und Komödie zeigt sich das totale Versagen des Regiekonzeptes. Offenbar flirtet die Inszenierung permanent mit irgendeinem Tiefsinn, der metaphorisch dem Meer zugewiesen wird. Aber diese Abstrakta beißen sich mit den naturalistisch-komödiantischen Elementen, die oft nicht mehr sein wollen als gutes Ohnsorg-Theater. Und selbst das wird so zur Klamotte entwertet. Elfi Hoppe, die Grande Dame des Oldenburgischen Staatstheaters, schlägt als Mrs. Rafy alles andere auf der Bühne tot, es mangelt ihr an Differenziertheit, sie wirkt absolut lustlos.
Und so mag es auch den anderen SchauspielerInnen in diesem Inszenierungschaos gegangen sein. Lediglich Murath Yeginer spielte alle Facetten seiner Figur aus. Als ewig betrunkener Aussteiger Evens, der am Strand lebt, kommt ihm eine leise Schlüsselposition in diesem Stück zu, das eigentlich den Zerfall einer Gesellschaftsstruktur zum Thema hat. Nur: Das hat die Regie offenbar gar nicht bemerkt.
Marijke Gerwin
Aufführungen: 23. und 30. Juni, jeweils um 20 Uhr im Kleinen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters. Karten ☎ 0441/222 51 11
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen