Arbeitstier mit Schwimmbrille

Über die Weltbühne ist viel geschrieben worden, über ihren Gründer Siegfried Jacobsohn weiß man wenig. Stefanie Oswalt hat jetzt eine äußerst lesenswerte Biographie über den Theaternarr und Ehemann „Sigo“ geschrieben

Die Zeitschrift war ein kleines publizistisches Wunder: immer in Geldnot, aber inhaltlich unabhängig. Erstellt von einer Miniredaktion, aber fast drei Jahrzehnte lang jeden Dienstag pünktlich. Ihre Auflage war mit selten über 10.000 Exemplaren nie besonders hoch. Dennoch war sie seit ihrer Gründung im Jahr 1905 im ganzen Land bekannt – „Die Weltbühne (vormals: Die Schaubühne)“.

Bis heute genießt die linksintellektuelle Zeitschrift einen ungewöhnlich großen Nachruhm. So fällt ihr Name zwangsläufig, wenn von Autoren wie Kurt Tucholsky oder Carl von Ossietzky die Rede ist. Es gibt einen wunderbaren Reprint der roten Hefte, ihre Geschichte ist gut erforscht und in Berlins Stadtteil Mitte hat letztes Jahr sogar ein Restaurant namens „Die Weltbühne“ eröffnet.

Verwunderlich also, dass erst jetzt eine Biografie Siegfried Jacobsohns erschienen ist, dessen Schöpfung die Zeitschrift war. Über den Mann mit dem berühmten Kürzel S. J. ist schon viel geschrieben worden, jedoch meist nur im Hinblick auf seine Arbeit. Ein plausibler Zugang, denn Jacobsohn war ein Workaholic. Darauf verweist auch Stefanie Oswalt im Titel ihres Buches „Siegfried Jacobsohn. Ein Leben für die Weltbühne“, das sich aber zudem mit unbekannteren und eher privaten Aspekten beschäftigt: der Jugend, dem Alltag und der Ehe des Publizisten. Ein ganzes Kapitel skizziert außerdem das jüdische Selbstverständis Jacobsohns, der immer wieder antisemitische Schmähkritiken über sich lesen musste.

Als ältestes von sieben Kindern kam Siegfried Jacobsohn 1881 in Berlin zur Welt. Seine Mutter hatte ein „Atelier für Damenschneiderei“ unweit des Alexanderplatzes, der Vater arbeitete als Buchhalter. Religiöse Erziehung spielte für die Eltern keine Rolle, dafür achteten sie sehr auf die musische Bildung ihrer Kinder. So gingen sie mit Siegfried an seinem neunten Geburtstag zum ersten Mal ins Theater. Der Beginn einer Leidenschaft: Siegfried schlich sich von da an sehr häufig aus der Schule an die Bühnen.

Mit 16 Jahren verließ er das Gymnasium mit dem Ziel, Theaterkritiker zu werden. Ungeheuer fleißig und geschickt im Kontakteknüpfen, erarbeitete er sich langsam diesen Traum. Erst als Redakteur der „Welt am Montag“ und schließlich als „Regisseur einer gedruckten Bühne“ – der Theaterzeitschrift „Die Schaubühne“, die er 1918 thematisch erweiterte und in „Die Weltbühne“ umbenannte.

Stefanie Oswalt hat bei der äußerst akribischen Recherche ihrer sehr gut lesbaren und reich bebilderten Dissertation auch Jacobsohns einzigen Sohn Peter befragt, der in den USA lebte und inzwischen verstorben ist. Von ihm erhielt sie neben Einblick in bislang unbekannte Familienkorrespondenz auch interessante Detailinformationen: So erinnerte sich Peter Jacobsohn daran, dass sein Vater beim Zigarrerauchen eine Schwimmbrille trug, um seine empfindlichen Augen zu schützen.

Die Ehe seiner Eltern beschreibt Peter als sehr harmonisch. Vor allem war sie jedoch unkonventionell: Siegfried Jacobsohn hatte 1915 die einen Kopf größere und relativ wohlhabende Edith Schiffer geheiratet, bei der er daraufhin einzog. Er sah sie als völlig gleichberechtigte Partnerin – eine sehr liberale Haltung selbst in der Weimarer Republik. So hatte er auch nichts dagegen, dass sie einen eigenen Verlag führte. Sie half „Sigo“, wie sie ihn nannte, sogar immer mal wieder aus finanziellen Krisen mit der Weltbühne.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere starb Jacobsohn mit nur 45 Jahren im Dezember 1926 an einem epileptischen Anfall. Wenige Monate zuvor war die Familie in eine große Wohnung im Grunewald gezogen, über die Jacobsohn überglücklich gewesen war. Es blieb ihm erspart, daraus vertrieben zu werden. Und er musste auch nicht mehr mit ansehen, wie das Land verrohte, das er trotz aller wortgewaltiger Kritik durch seine Weltbühne immer sehr geliebt hatte.

NADINE LANGE

Stefanie Oswalt: „Siegfried Jacobsohn. Ein Leben für die Weltbühne. Eine Berliner Biographie“. Bleicher Verlag, Berlin 2000, 293 S., 48 DM