Mit der Haut hören können

■ Vier Jahre nach der Sanierung wird die Glocke jetzt schon wieder umgebaut. Der Künstler Götz Lemberg installiert ein spektakuläres Klangkunstwerk

Die Gründung eines Volker-Heller-Fanclubs wäre momentan ein mühseliges Unterfangen. Denn seit Heller zu Jahresbeginn das Amt des Geschäftsführers der städtischen Controllingfirma „kultur.management.bremen“ (kmb) antrat, wuchs vor allem die Zahl seiner KritikerInnen. Während Hellers Arbeit sowohl bei Kultursenator Bernt Schulte (CDU) als auch in den traditionell „kulturskeptischen“ Ressorts Wirtschaft und Finanzen Begeisterung hervorruft, bringen ihm gerade diese Freunde die Gegnerschaft von großen Teilen der Kulturszene ein. Denn die befürchten, dass der mit immer mehr Machtbefugnissen ausgestattete Heller (vgl. taz vom 17./18. Juni) sein Ansehen dort vor allem deshalb genießt, weil er den Kulturhaushalt an die Planvorgaben aus dem Hause Perschau anpasst. Und die heißen: Sparen, wo es nur geht – auch dort, wo es nicht mehr geht.

In der 70.000-EinwohnerInnen-Stadt Frankfurt/Oder ist man in dieser Hinsicht schon einen beträchtlichen Schritt weiter. In nur sechs Jahren ist es der dortigen großen Koalition unter Bürgermeister Wolfgang Pohl (SPD) gelungen, das Vier-Sparten-Kleist-Theater in Luft aufzulösen. 1992 wurde das Ballettensemble entlassen. Drei Jahre später folgte der Chor. Trotz achtzehntägigen Hungerstreiks und Parlamentsbesetzung seitens der Theaterbeschäftigten schloss 1998 auch das Musiktheater seine Pforten. Und vor wenigen Wochen nun erwischte es die noch verbliebene Schauspielsparte des Theaterintendanten Manfred Weber, die am 29. April mit der letzten Aufführung der „Rocky Horror Show“ der 250-jährige Geschichte des Kleist-Theaters ein Ende setzte. Der Schauplatz der „Kleist-Festtage“ steht nun ohne Kleist-Theater da.

Frankfurts Schuldenberg, der sich seit der Wende bei einem Gesamthaushalt von 538 Millionen Mark in 2000 zu einem 116 Millionen-Ungetüm ausgewachsen hat, begrub neben dem Theater unter anderem noch die Kunstabteilung der Musik- und Kunstschule und die Museumspädagogik unter sich. Was das alles mit Bremen zu tun hat? Vor seinem Wechsel nach Bremen war Volker Heller drei Jahre lang inmitten der heftigsten kulturpolitischen Auseinandersetzungen Leiter des Frankfurter Kulturamtes. Hellers Vorgänger Ulrich Schröder hatte 1996 mit der Begründung das Handtuch geworfen, er könne das Streichkonzert im Kulturbereich nicht mehr verantworten. Heller hingegen konnte.

225 Mark anstelle der bundesdurchschnittlich 145 Mark pro Kopf ließ sich Frankfurt/Oder 1997 seine Kultur kosten. Dass er an die Oder gekommen war, um die im Städtevergleich rekordverdächtig üppig finanzierte Frankfurter Kulturszene umzukrempeln, daran ließ Heller von Beginn an keinen Zweifel. Seine Devise: „Nicht abbauen, sondern umbauen“. Nach dem Vorbild von Profit-Centern in der Wirtschaft wurden in Hellers Amtszeit die großen Kultureinrichtungen und Teile der Kulturverwaltung in gemeinnützige GmbHs und Eigenbetriebe verwandelt. Ein der Bremer kmb vergleichbares „Werkleitungsbüro“ wurde installiert, das sich um Buchhaltung, Wirtschaftspläne, Logistik und Controlling kümmert. Den Einrichtungen legten Heller und sein Kulturdezernent Martin Patzelt nahe, sie sollten sich schon mal „auf dem kulturellen Freizeitmarkt zu tummeln beginnen“, um ihre weniger einträglichen Angebote auch zukünftig finanzieren zu können.

Auch programmatische Empfehlungen hatte das dynamische Duo parat. Allzuoft sei man in Frankfurt nur von der großen kulturellen Bedeutung eines Projektes ausgegangen. In Zukunft wolle man bei der Projektförderung stärker danach gehen, wie viele Menschen von dem Angebot erreicht würden. Für wenig Geld viele erreichen sei dabei der Maßstab. Aber, so schilderte Heller 1997 in einem Gespräch mit dem „Tagesspiegel“ seine Vision, am Ende des von ihm forcierten Umbaus solle die Stadt mit einer „attraktiven Kulturlandschaft dastehen, die funktioniert und nicht bloß vor sich hinkrepelt“.

Doch vor der Funktion stand zunächst die Kastration. Weshalb vor allem das Theater nach den damaligen Worten des Dezernenten Patzelt „notwendige Schnitte am Körper des Patienten über sich ergehen lassen muss, um ihn anschließend gesunden zu lassen“. Eine Wortwahl, die in Bremen unangenehme Erinnerungen wachruft, hatte doch der zeitgeich mit Heller eingestellte Kulturamtsleiter Reinhard Strömer während einer öffentlichen Debatte Bremens Kulturszene mit einer darbenden Patientenpopulation verglichen.

Zumindest in Frankfurt ist die Operation am Theaterleib kaum im Sinne des Kranken verlaufen. Am Ende aller Schnibbelei war der Patient nicht gesundet, sondern mausetot. Und ein Ende der Krepelei ist trotz allem nicht in Sicht. Weitere 1,4 Millionen Mark sollen nach dem Willen der großen Koalition in den nächsten fünf Jahren im Kulturhaushalt eingespart werden. Selbst das bislang sakrosankte Frankfurter Staatsorchester ist in den Blick der koalitionären OP-Schwestern geraten. In einem offenen Brief beklagte sich jüngst Hans-Jochen Marquardt, Direktor der Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte, „dass die bereits auf dem Altar des Sparzwangs geschlachteten Kultureinrichtungen Frankfurts den Appetit nach weiteren Opfern erst recht eigentlich erzeugt zu haben scheinen.“ Wohl wahr.

Kein Wunder also, dass weder Marquardt noch Theaterintendant Weber auf Heller und die von ihm verantwortete Kulturpolitik gut zu sprechen sind. Ihr Hauptvorwurf: Trotz allem kulturellen Engagements habe sich Heller letztlich zum willfährigen Exekutor der städtischen Sparinteressen gemacht. “Als es meinem Haus an den Kragen ging, wo war da der Herr Heller?“, fragt Weber – und fügt ebenso wie Marquardt hinzu, dass er den heutigen kmb-Mann nie als Anwalt der Kultureinrichtungen erlebt habe. Im Konfliktfall sei Heller „immer ein loyaler Diener seiner Herren gewesen“, sagt Weber. Und die Herren wollten angesichts des strukturellen Defizits von derzeit 35 Millionen Mark jährlich vor allem eines: sparen.

Die aus Hellers Umfeld kolportierte Version, er hätte anstelle des Musiktheaters lieber das überdimensionierte Staatsorchester abgewickelt, sei damit aber an der betonharten Orchester-Lobby gescheitert, klingt edel. Bloß: Erinnern kann sich daran in Frankfurt niemand. Im Gegenteil – weder öffentlich noch unter vier Augen habe Heller jemals zu erkennen gegeben, dass ihm etwas anderes als die „Gesundung“ des Theaters nach der Salamitaktik am Herzen gelegen habe, betonen Marquardt und Weber. Dabei hätte diese Lösung Sinn gemacht. Frankfurt besitzt ein mit 86 Stellen besetztes und überwiegend kommunal finanziertes A-Orchester, was bei einer Stadt dieser Größe und mit inzwischen abhanden gekommenem Musiktheater bundesweit einmalig sein dürfte. Doch aller Lobby zum Trotz – ruhig schlafen dürfen auch die Orchestermitglieder nicht. Denn neben den von Heller installierten Eigenbetrieben soll vor allem das Orchester dazu beitragen, dass die in den nächsten Jahren einzusparenden 1,4 Millionen Mark zusammen kommen. Auf Heller und Pfennig. Franco Zotta