Protest gegen eine Hinrichtung

Morgen soll in Texas Gary Graham mit der Giftspritze getötet werden. Gouverneur Bush gerät unter Druck, denn in den USA wächst das Unbehagen an der Todesstrafe. Der Kongress debattiert über eine bessere Verteidigung in solchen Verfahren

aus Washington PETER TAUTFEST

Morgen soll in einem Gefängnis nahe Houston im Bundesstaat Texas Gary Graham durch die Giftspritze sterben. Die bevorstehende Exekution hat in den USA heftige Diskussionen über das Todesurteil und Protestaktionen ausgelöst. Der Gouverneur von Texas, George Bush, der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner und Befürworter der Todesstrafe, gerät wie seinerzeit im Fall der Mörderin Karla Faye Tucker unter Druck, das Urteil auszusetzen.

Anders als Tucker aber behauptet Graham, unschuldig zu sein. Verfahren und Urteil gegen Graham, der 1981 verurteilt wurde, vereinigen alle Elemente, die in letzter Zeit die Todesstrafe in den USA und vor allem deren schon fließbandartige Vollstreckung in Texas in Verruf gebracht haben. Graham war zur Zeit der ihm zur Last gelegten Tat erst 17, er entstammt einer armen und schwer gestörten Familie. Der heute 38-Jährige hat mehr als die Hälfte seines Lebens im Gefängnis – die meiste Zeit davon im Todestrakt – verbracht, er ist schwarz, das Mordopfer weiß, sein Anwalt Ronald Mock – wie Graham Afroamerikaner - versäumte es, Entlastungszeugen vorzuladen und wurde mehrfach von der Anwaltskammer diszipliniert.

Am 13. Mai 1981 wurde auf dem Parkplatz eines Supermarkts in Houston der Hilfsarbeiter Bobby Grant Lambert bei einem versuchten Raubüberfall erschossen. Eine Woche später wurde Gary Graham von einer Frau als Vergewaltiger beschuldigt und festgenommen. Er gab zehn der ihm zur Last gelegten Raubüberfälle zu – zwei Überfallene wurden durch Schüsse schwer verletzt – bestritt aber den Mord auf dem Parkplatz. Die Anklage wegen Vergewaltigung wurde fallen gelassen. Seine Verurteilung beruht auf der Aussage einer einzigen Zeugin, die den Mord von ihrem Wagen aus beobachtet hatte. Andere Augenzeugen aber beschrieben einen anders aussehenden Täter.

Die Diskussion um Grahams Todesurteil findet in einem gegenüber der Situation vor noch einem Jahr radikal veränderten Klima statt. Im Januar dieses Jahres beschloss der Gouverneur von Illinois ein Exekutionsmoratorium. In seinem Bundesstaat waren mehr Todesstrafen – zum Teil erst kurz vor der Hinrichtung – als Justizirrtümer erkannt als vollstreckt worden. Die Chicago Tribune hatte in einer mehrteiligen Serie Anfang dieses Jahres alle in Illinois gefällten Todesurteile untersucht und nachgewiesen, dass in allen Fällen die Verteidigung mangelhaft und nachlässig war. Im Mai veröffentlichten New York Times und Washington Post unabhängig voneinander groß angelegte Untersuchungen der Todesurteile in Texas und dokumentierten in ausgewählten Fällen juristische Inkompetenz der Verteidigung. Letzte Woche veröffentlichte die juristische Fakultät der Columbia University eine Untersuchung aller in den USA verhängten Todesurteile der letzten 23 Jahre und kam zu dem Ergebnis, dass 68 Prozent wegen Verfahrensmängeln in höheren Instanzen aufgehoben werden.

George Bushs während des Wahlkampfs gemachte Behauptung, dass keines der in Texas unter seiner Regierung vollstreckten 127 Todesurteile Justizirrtümer gewesen sein können, stößt auf wachsende Skepsis.

Seit Jahren zum ersten Mal ist die Todesstrafe wieder ein großes öffentlich debattiertes Thema. Der Kongress, der sich das letzte Mal 1996 mit der Todesstrafe beschäftigte, um deren Vollstreckung zu beschleunigen und die Kompetenz von Bundesgerichten bei deren Überprüfung zu beschneiden, berät zur Zeit ein Gesetz, das adäquate Verteidigung in Todesstrafenverfahren sicherstellen soll und gute Aussichten hat, verabschiedet zu werden. Im Bundesstaat New Hampshire hob das Landesparlament Anfang des Jahres die Todesstrafe auf – ein Gesetz, das von der Gouverneurin mit Veto belegt wurde. In Maryland wandelte der Gouverneur im Mai eine Todesstrafe in lebenslange Haft um, selbst Gouverneur Bush gewährte im Mai den Aufschub einer Todesstrafe, um einen DNA-Test zu ermöglichen.

Bisher stoppten diese Entwicklungen Hinrichtungen in Alabama und Texas jedoch nicht.