Entschulden Sie Ihr armes Land!

Ja, Sie schaffen es! Als Regierungschef eines der ärmsten Länder der Welt erreichen Sie Schuldenerlass von Ihren Gläubigerstaaten. Wir zeigen Ihnen, wie

von KATHARINA KOUFEN

Stellen Sie sich vor, Sie regieren eines der ärmsten Länder der Welt. O.k., keine angenehme Vorstellung. Aber sie haben eine Chance: Schuldenerlass. Und den erreichen Sie so: 1. Sie rechnen vor, dass Sie ihr Schuldenproblem nicht alleine in den Griff bekommen.

Das bedeutet in der Rhetorik des IWF, dass sie „dauerhaft zahlungsunsfähig“ sind – ein hoffnungsloser Fall. Schuldenerlass ist Ihre letzte Rettung. Drei Kriterien müssen Sie erfüllen: Der Schuldenberg muss mindestens um die Häfte größer sein als die Exporterlöse und zweieinhalb Mal so hoch wie die Haushaltseinnahmen. Der jährliche Schuldendienst, also die Summe, die Sie an Zinsen und Tilgungsraten zahlen, macht mindestens ein Viertel der Exporterlöse aus. Hinter diesen Kriterien steckt die Überzeugung: je mehr Exporte, desto besser. Sie wissen, was das heißt: Sie sollen sich auf den Export weniger Güter spezialisieren, zum Beispiel Kaffee oder Südfrüchte. Sie kennen auch die Nachteile von Monokulturen zur Genüge: Der Boden wird schneller unfruchtbar, die gesamte Wirtschaft hängt vom Weltmarktpreis für Kaffee ab.

2. Sie zeigen, dass Sie zu Wirtschaftsreformen bereit sind.

Aus Ihrer jahrelangen Beziehungskiste mit dem IWF wissen Sie, dass der Fonds das A und O von Entwicklung im Wirtschaftswachstum sieht. Logisch, dass Wirtschaftswachstum auch beim HIPC-II-Schuldenerlass wieder mit in den Zielkatalog aufgenommen worden ist. Der Weg zum Wachstum ist genauso mühsam wie vor dem Kölner Gipfel: Löcher im Staatshaushalt müssen künftig durch eisernes Sparen gestopft werden – und nicht über den sehr viel bequemeren Weg der Neuverschuldung oder des Anwerfens der Notenpresse.

3. Sie „fokussieren“ Ihre Ausgaben.

Sparen heißt weniger Geld ausgeben; auch bei so notwendigen Dingen wie Bildung oder Gesundheit. Weil das vor allem für die schlecht ist, die sich Bildung und Gesundheit nicht aus der eigenen Tasche finanzieren können, sprechen die Ökonomen vornehm von Fokussierung der vorhandenen Mittel. Soll heißen, statt des häufig kritisierten „Gießkannenprinzips“ – staatliche Leistungen für alle – sollen Sie das knappe Geld kanalisieren und nach bestimmten Prioriäten ausgeben. Die Priorität, die Ihre Gläubigerländer für den Schuldenerlass setzen: Öffentliche Ausgaben müssen „armutsorientiert“ sein. Statt Geld in die Universitäten zu pumpen, auf die dann Jugendliche aus der Mittel- und Oberschicht gehen, sollen für alle Kinder Grundschulen gebaut werden – davon würden auch die Armen profitieren.

4. Sie rufen die „Zivilgesellschaft“ zur „Partizipation“ auf.

Diktatorisch dekretieren ist verboten! Das haben Ihnen die Gläubiger schon klar gemacht. Das Zauberwort heißt „Partizipation“. Sie müssen zeigen, dass in ihrem Land Kanäle existieren, „demokratische Strukturen“, wie es so schön heißt, über die die Bevölkerung an der Meinungsbildung teilnehmen kann – sonst gibt es womöglich keinen Schuldenerlass. Das können Parteien sein, Gewerkschaften oder andere Interessenverbände. Aber getrost: Selbst Ländern wie Kamerun werden die Schulden erlassen – obwohl dort weiß Gott nicht viel von Partizipation zu merken ist.

5. Halt: Finden Sie erst heraus, was „Zivilgesellschaft“ ist.

Das ist nämlich nicht einfach die Bevölkerung. Die lebt ja auch in Diktaturen und Militärherrschaften. „Zivilgesellschaft“ . . . Also nehmen Sie zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen im weitesten Sinne, Kirchen, Gewerkschaften, Umweltverbände, Berufsverbände . . . In Ihrem Land gibt es das? Schön. In anderen Ländern gestaltet sich die Suche schwieriger: etwa in Somalia, Ruanda oder dem Sudan, wo sich die zur „Zivilgesellschaft“ gehörenden Gruppen gegenseitig die Schädel einschlagen. Zur Not bestimmen Sie kurzerhand selbst, wer zur Zivilgesellschaft gehört und wer nicht. Unbequeme Gruppen bleiben dann außen vor. Vielleicht kommen Sie bei den Gläubigern durch damit.

6. Ja, Sie zeigen Eigeninitiative bei der Armutsbekämpfung!

Sie als Regierungschef eines Schuldnerlands identifizieren sich mit dem, was zu Hause passiert. Die Entwicklungspolitiker nennen das Country Ownership. Sie entwickeln selbst einen Armutsbekämpfungsplan, das Poverty Reduction Strategie Paper (PRSP) – unter „Partizipation der Zivilgesellschaft“, versteht sich. Den sollen Sie mit dem Geld finanzieren, das durch den Schuldenerlass frei wird. Bislang entstammten die Sparprogramme, die die Länder im Vorfeld des Schuldenerlasses sechs Jahre lang durchführen mussten, den Hirnen Washingtoner Ökonomen. Schluss mit dieser Bevormundung! Obwohl: Der Armutsbekämpfungsplan ist eine Bedingung, die Sie erfüllen müssen, bevor Ihnen die Schulden erlassen werden. Sie fänden es im Grunde besser, wenn Sie gleich Ihren Schuldendienst aussetzen dürfen und dann in aller Ruhe möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zusammentrommeln und gemeinsam diesen Plan erarbeiten.

7. Trotz aller Eigenverantwortung: Benehmen Sie sich!

Trotz aller Country Ownership müssen Sie genau wissen, wie weit Sie gehen dürfen. Sehr ungeschickt wäre es zum Beispiel, just im Moment des Schuldenerlasses ein Flugzeug für den Präsidenten zu kaufen wie Ihr ugandischer Kollege. Na ja, er konnte gerade noch glaubhaft machen, dass das Geld für das Flugzeug woanders herkam, aber fast . . . Good Governance, gute Regierungsführung, heißt Ihr Sinn für Anstand in der Fachsprache. Darunter verstehen die Gläubigerstaaten auch, dass Sie freie Wahlen zulassen und die Menschenrechte respektieren – wie Ihre Gläubigerstaaten auch . . .

8. Jetzt können Sie sich auf den „Wachstums- und Armutsreduzierungstopf“ freuen!

Uff, alle sieben Punkte geschafft! Ist der Armutsbekämpfungsplan fertig, sind die einzelnen Posten, in die das frei werdende Geld fließen soll, nachvollziehbar aufgelistet, haben Sie sich eine Zeit lang Waffenkäufe und Wahlbetrug verkniffen, dann kann es losgehen mit dem Schuldenerlass. Zur Belohnung gibt es sogar einen neuen IWF-Kredit aus dem eigens eingerichteten „Armutsreduzierungs- und Wachstumstopf“. Jetzt geht es aufwärts mit Ihrem Land. Oder geht alles wieder von vorn los? Ein paar Spielverderber haben den Kredittopf mit dem schönen Namen bereits in „Armutswachstums- und Wachstumsreduzierungs-Topf“ umgetauft.