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Regeln für den Pixel-Park

Die 7. Internationale Architektur-Biennale in Venedig wollte „mehr Ethik und weniger Ästhetik“. Stattdessen verflüchtigen sich neue Baumodelle und Stadtplanung in CAD-gestützten Bildwelten. Einige Architekten sehen Genetik als Weg in die Zukunft

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Es gibt Architekten, die sich von sich selbst verabschiedet haben. Städte und Architekturen ordnen sich bei ihnen nicht mehr zu geometrischen Plänen und Formen. Sie überlassen die städtische Entwicklung lieber dem Zufall und sich selbst dem Chaos dieser Dynamik. „Eine Stadt kann schön sein oder hässlich, aber das spielt für mich keine Rolle, solange die Menschen dort ihren Spaß haben und in Klubs gehen. Wenn die Leute Parks brauchen, wird schon irgendjemand kommen und das besorgen. Ich finde urbane Planung unwichtig. Wenn es einem hier nicht mehr gefällt, geht man eben woanders hin, um da zu leben.“ Für den Architekten Hagai Nagar hat sich die traditionelle Rolle des Architekten im Zeitalter des modernen Nomadentums und der Fun-Kultur gewandelt. Statt Pläne zu zeichen, dreht er Videos mit brüllend lauten Großstadtszenen. Statt Bauherren interviewt er Passanten.

Mediale Spaßästhetik, wie sie im israelischen Pavillon auf der 7. Internationalen Architektur-Biennale in Venedig zu sehen ist, bildet nicht die Ausnahme, sondern durchaus das Programm der Bauwelt-Schau. Fotos, Clips und stilisierte Szenographien im Technosound prägen die Ausstellung. Als Alien-Environment präsentiert die USA ihr „Bau-Laboratorium“ von Studenten der Architektur-Universität in Los Angeles. Amorphe Architekturen flimmern dabei über den Computermonitor und bieten Modelle für das Wohnen im nächsten Jahrtausend.

Poppig knallt es im britischen Pavillon. „Ecstacity“ nennen Doug Branson und Nigel Coates ihre Multivisionen grell-psychedelischer Stadtvisionen, neben denen Zaha Hadids dekonstruktivistische Brückenkonstruktionen über die Themse mittlerweile recht bieder daherkommen. Und selbst die sonst so ordentliche Schweiz überlässt ihren Showroom urbanen Videokünstlern: In Bob Gramsamas „Menschen an den Hochspannungsleitungen“ zucken diese über den Schirm als Vertreter der Internet-Generation, die wie Fledermäuse an den Drähten hängt.

So merkwürdig artistisch die neuen architektonischen Chiffren daherkommen, so klar entwerfen sie ein Bild der heutigen Zunft, die ihren CAD-gestützten Beruf nur mehr als virtuelle Disziplin begreift: entrückt von einer baulichen Realität und entfernt von der Ethik des Bauens als sozialem und räumlichem Programm – was übrigens verständlich ist angesichts gewünschter Oberflächlichkeit und der Fassadenarchitektur privater Investorenprojekte. Dabei hatte Biennale-Direktor Massimiliano Fuksas für den Start ins 21. Jahrhundert gerade das Motto „Mehr Ethik – weniger Ästhetik“ ausgegeben und Anworten der 90 eingeladenen Architekten aus 38 Ländern für das Bauen der Zukunft gefordert. Mehr als die Hälfte der sechs Milliarden Erdbewohner, sagte Fuksas bei der Eröffnung, lebe in großen Städten – Tendenz steigend.

Angesichts wachsender Armut und der Landflucht in die Metropolen, besonders in den Ländern der Dritten Welt, müsse, so Fuksas, das bisherige expansive Stadtmodell kulissenartiger Hochhauszentren und peripherer Siedlungsteppiche überprüft werden. Mehr Ethik – weniger Ästhetik bedeute, dass die Architekten und Planer sich wieder „dem Wesentlichen ihrer Arbeit, der Lösung gesellschaftlicher Probleme“ und dem politischen Engagement zuwenden, statt sich mit Fragen künstlerischer Selbstdarstellung auseinanderzusetzen.

Dass die Architektur-Biennale sich nicht zu einem Workshop über den öffentlichen Raum von ergrauten Alt-68ern gewandelt hat, sondern wie in den Jahren davor zur Schaustelle des avantgardistischen Anything goes wurde, hat sich Fuksas selbst zuzuschreiben. Denn neben den thematischen Länderpavillons wurden die beiden zentralen Ausstellungen auf dem Giardini-Gelände und im Arsenal selbst zu einer überbordenden Videoinstallation und zu extraterrestrischen Raumstationen, die mit Ethik nichts am Hut haben.

Im Arsenal, der früheren Werft für die venezianische Flotte, hat Fuksas in der 300 Meter langen Seil-Halle eine 280 Meter lange und 5 Meter hohe Videowand aufgebaut, die Katastrophen aus den Großstädten der Welt zeigt: aus Tokio, Mexiko City, São Paulo, Las Vegas, Hongkong, Moskau, New York et cetera. Die Städte erscheinen als gigantische Maschinen der Entmenschlichung, als Massenquartiere aus gebauten und informellen Ghettos, als eine 1.000 Quadratmeter große Müllhalde in Kalkutta, die als Wohnstätte dient, als infernale Brutstätten der Gewalt, des Verkehrsinfarkts und der Apokalypse. Zur Situationsbeschreibung reicht das aus, zur Lösung und Analyse der urbanen Probleme nicht.

Auch im Giardini-Pavillon befinden sich die Ausstellungsprojekte auf der Flucht vor dem sozialen Ethik-Motto und weichen ihm im wahrsten Sinne des Wortes aus. Ins Zentrum des Kuppelbaus ließ Fuksas ein riesiges Modell der Internatioalen Raumstation hängen, das zu Walzerklängen und Ausschnitten aus Stanley Kubriks Film „2001“ an der Decke tanzt. Architektur, Raum und Zeit, so vermittelt der Titel „Suche nach dem neuen Haus für die Menschheit“, sind im 21. Jahrhundert im Weltall angesiedelt, von wo aus die Erde nur noch als brennender Globus durch die Sichtluken in Erscheinung tritt.

Gänzlich daneben liegt Fuksas mit seinen Astronautengehäusen und seiner Zerstörungskritik nicht. Während etwa Hiroaki Kitano und Tatsuya Matusi (Japan) mit ihrem „Robot-Home“ die Raumfahrer-Sehnsucht der Perry-Rhodan-Generation ebenfalls wieder aufleben lassen und sich dabei nahtlos den Video-Künstler-Architekten anschließen, nehmen andere das Flucht- und Überlebensthema doch angenehm ernst und entwerfen bauliche Zukunftsmodelle für Erdenbürger. So glaubt das Kölner Architektenteam Böhm, dass sich die Menschheit nur in einer symbolischen Pyramide – dem letzten Tempel der Rettung – vor den Emissionen und Umweltzerstörungen nachhaltig in Sicherheit bringen könne, um dort autark zu überwintern. Urhütten des Weiterlebens für die Urbaniten am Rande des Existenzminimums entwirft auch der indonesische Architekt Eko Prawoto. „A Housing für the Urban Poor“ am Rande von Yogyakarta ist ein Projekt aufgestelzter kleiner Pfahlbauten, die Vogelhäuschen oder fliegenden Containern ähnlich sehen.

Nichts anderes meinen die metamorphosen Gebäudeskulpturen „Off the Road“ für ein Wohnhaus samt Garage von Lars Spuybroek (Rotterdam), das in seinen weichen organischen Formen eine Schutzhütte assoziiert. Schließlich wird das Thema auch von den beiden amerikanischen Startheoretikern des modernen Bauens, Hani Rashid und Greg Lynn, veranschaulicht. Ihre „Embryological Houses“, die in allen nur möglichen Variationen aus den Computern fließen, fokussieren den Blick noch einmal auf die zentrale These: Nur in einer Architektur, die das Leben, natürliche Ressourcen und die Technik versöhnt, besteht die Chance der Fortentwicklung. Nicht mehr postmoderne Kulissen oder die illustren dekonstruktivistischen Hightech-Maschinen, die noch bei der letzten Biennale 1996 sinnbildlich waren für eine zersprengte Welt, sondern gebaute ästhetizistische Haus-Biotope bilden Chiffren einer Zukunftsstadt.

So lustig und so visionär die biologischen Formen am virtuellen Reißbrett oder im Modell daherkommen, so deutlich verweist die Illustration der Raumstationen als organische Form auf ein anderes Phänomen unserer Zeit: Das 21. Jahrhundert könnte das der Genetik und damit möglicherweise auch der Mutation werden. Als wollten sie sich dem widersetzen, produzieren die Architekten Antikonstruktionen – als fortschrittliche Rückbesinnung und als sehnsüchtige Inseln der natürlichen Umwelt.

Und die Stars der Szene? Sie sind gegenüber den jungen Planern, Video-Architekten und Morphologen in den Hintergrund gerückt. Zwar hat Jean Nouvel (Paris) den Großen Preis der Jury für sein soziales Wohnungsbauprojekt in Nîmes erhalten. Und Coop Himmelblau, David Chipperfield, Richard Rogers und José Morales arrangieren klassische Modelle großer Kulturbauten oder Stadtrekonstruktionen, wobei der Plan von Coop Himmelblau für die Rettung der maroden Metropole Havanna wohl zum Eindrücklichsten in den Giardini gehört.

Doch das alles zählt nicht mehr, Ethik inbegriffen, in Venedig. Am Beginn des 21. Jahrhunderts scheint Bauen nur noch zwei Richtungen zu kennen: die der Sorge um den Verlust der altehrwürdigen Stadt und die der futuristisch-ästhetischen Ausstiegsszenarien, wobei urbane Planung, wie Hagai Nagar sagte, „unwichtig ist“. Die Ethik der Stadt als soziales und ökonomisches Gebilde, mit der sich auch der deutsche Beitrag „Berlin StadtWende“ in seinem konservativen „Planwerk“ zum Wiederaufbau des historischen Zentrums beschäftigt, scheint obsolet. Für die jungen Wilden der Architektenszene ist Bauen Punk, Bewegung, Leben und Tod.

7. Internationale Architektur-Biennale, bis 21. 10., Venedig. Täglich außer Montag 11 bis 19 Uhr. Der Katalog kostet 120 Mark

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