piwik no script img

Die Sehnsucht nach dem anderen

Schon vor der EM drang das Unterbewusste der deutschen Fußballfans nach außen: Sie konnten nicht mehr hinsehen und riefen nach Volker Finke

von PETER UNFRIED

Natürlich ist die Frage nicht mehr: Warum ist alles so gekommen? Da war die Antwort schon vor Beginn der EM klar: Es ist gekommen, wie es kommen musste. Die Frage ist: Warum kommt es jetzt wieder, wie es kommen muss? Warum wird sich nichts ändern – obwohl sich alles ändern müsste? Kurz: Warum wird Volker Finke nicht Nachfolger des gestern wie erwartet aus der Verantwortung entbundenen Erich Ribbeck?

Zunächst zum Vorwurf, hinterher könne jeder klug daherschwätzen. Die Rechteinhaber von ARD und speziell ZDF haben aus nachvollziehbaren Gründen den möglichen Endsieg bis zur totalen Lächerlichkeit („noch vier Tore“) beschworen. Wer aber einmal im Stadion war, hat alles kommen sehen. Müssen.

Die EM-Bilanz des DFB: Gruppenletzter, 0:3 gegen Portugal, 0:1 gegen England, 1:1 gegen Rumänien – das entspricht dem Leistungsvermögen des von Ribbeck ausgerichteten Teams.

Als beim letzten EM-Test gegen Liechtenstein den Stadionbesuchern bereits die ganze Hoffnungslosigkeit der EM-Mission offenbar wurde, geschah etwas Ergreifendes: Das Unterbewusste der Zuschauer drang nach außen. Diese restlose Ablehnung dessen, was ihnen als deutscher Fußball verkauft wurde, drückte sich in einem Hilfeschrei aus. Die Zuschauer riefen nach Volker Finke. In diesen Rufen drückte sich die Sehnsucht nach einem anderen Fußball aus, einem zeitgemäßeren, einem konkurrenzfähigen, einem schöneren Fußball.

Warum Finke? Nicht weil Finke (51) früher mal Zigaretten selbst drehte und als Inbegriff der Nonkonformität in einer angepassten Fußballwelt gedeutet wurde. Sondern weil er ein guter Trainer ist. Einer, der seit 1991 beim Bundesligisten SC Freiburg genau das leistet, was dem DFB-Team gefehlt hat: Finkes moderner, internationaler Kurzpass-Fußball kann mittelmäßige Profis durch ein ihren Fähigkeiten angemessenes System als Team besser machen als die Summe ihrer Einzelfähigkeiten. Beim DFB-Team war es andersherum.

Eine „mittlere Katastrophe“

Wie Bild gestern auf die Spieler draufzuhauen ist entweder fachfremd oder bösartig. Die wahren „Fußball-Deppen von Europa“ sitzen woanders. Es sind die, die den armen Ribbeck installiert und benutzt haben und entweder mit ihm Lothar Matthäus reinstalliert oder das zugelassen haben. Nun haben sie ihre „mittlere Katastrophe“, wie der designierte DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder gesagt hat – imagemäßig und dadurch natürlich auch wirtschaftlich.

Was tun? Natürlich gibt es Nachwuchsprobleme usw. Es gibt keine Ausnahmespieler mehr, wie es zuletzt Matthias Sammer war. Der deutsche Fußball ist aber sehr wohl international konkurrenzfähig. Das haben Champions-League-Halbfinalist Bayern München (qua Organisation und Ergebnisse) und auch Bayer Leverkusen (qua Qualität des Fußballs) bewiesen. Das DFB-Team war nicht unterlegen, weil die Spieler nicht „kämpfen“. Die rationalen Profis kämpfen nicht, weil sie ohne Organisation hoffnungslos unterlegen sind. Das ist ein grundlegender Unterschied.

Natürlich hängt die Wahl des neuen Bundestrainers auch davon ab, wer sich überhaupt dafür hergibt. Der Job ist finanziell und sportlich inzwischen von nachrangiger Bedeutung. Wenn überhaupt noch, muss der Reiz in seinem Mythos begründet liegen. Dessen Verblassen haben Ribbeck und vor ihm Berti Vogts rapide beschleunigt.

Der wichtigere Aspekt ist aber die Perspektive. Die eigentliche Weichenstellung ist ja bereits erfolgt: Der Nachfolger des DFB-Vorsitzenden Egidius Braun (73) soll Gerhard Mayer-Vorfelder sein – ein gewiefter Realpolitiker zwar, aber einer, der innerhalb des Systems funktionieren wird und muss. Es ist im Übrigen nicht nur so, dass Mayer-Vorfelder den CDU-Rechtsaußen nie gespielt, sondern stets gelebt hat. Der Politrentner ist zudem verbraucht von Jahrzehnten Multifunktionärstum.

Wer kann da etwas bewirken?

Sicher nicht Kandidat Otto Rehhagel (62). Der Lauterer Altmeister beharrte bei seinen öffentlichen Bewerbungsversuchen im ZDF auf Problemanalysen, die sich der Fachkompetenz entziehen („wenn der Pfostenschuss von Bode . . .“). Kollege Jupp Heynckes (Benfica Lissabon) mag als Persönlichkeit gar nicht soweit von Rehhagel entfernt sein – ein angeblich typischer Deutscher, konservativ, autoritär. Als Fachkraft mit Spanien- und Portugal-Erfahrung hat er aber europäisches Know-how. Heynckes weist seit der WM 1998 auf das deutsche Dilemma hin. Das ist die Unfähigkeit, „aus der Defensive heraus ein Spiel zu konstruieren“. Das hat man ausgesessen und dafür die Diskussion auf den Verlust der nationalen „Tugenden“ zurückgeworfen. Aber Heynckes ahnt die Hoffnungslosigkeit und hat längst abgewinkt – wie Arsène Wenger (FC Arsenal). Heynckes hat unverblümt gesagt, dass nicht nur der Fußball, sondern „vieles um die Mannschaft renoviert werden muss“. Um die Mannschaft ist der DFB.

Kanzler kann nicht alles machen

Die Restauswahl derer, unter denen der Retter gesucht wird, offenbart den Horizont der Suchenden und die Qualität der Diskussion. Ein Ausländer? Ja, unbedingt. Aber dann Giovanni Trapattoni (62). Der („Fußball isse wo Tore schieße“) ist in der eigentlich ausländerskeptischen Branche das, was den Deutschen in den Sechzigern der brave Gastarbeiter von nebenan war. Und fachlich betrachet, wird Trapattonis lustfeindlicher Sicherheitsfußball bei der EM selbst von den Italienern ad absurdum geführt.

Aber sogar der grundsätzlich gutmütige ZDF-Sportchef Wolf-Dieter Poschmann hat live auf dem Sender davon gesprochen, dass sich die Frage nach einem Neubeginn nicht stelle bzw. eigentlich von Leo Kirch abhänge („Was wird der Mann sagen, der die Rechte für die WM 2002 hat?“). Der Mediengroßhändler muss die Produkte WM 2002 und WM 2006 als Motor für seine Milliardenprojekte Bezahlfernsehen nutzen. Ohne DFB-Qualifikation verliert das Produkt immens an Wert. Kirch und Partner Springer haben den wahren deutschen Fußballchef Franz Beckenbauer unter Vertrag und mit Lothar Matthäus seinen designierten Assistenten und Nachfolger aufgebaut. Mit derselben Strategie hat man schon 1998 gemauert.

Man kann natürlich sagen, Christoph Daum (Bayern Leverkusen) wäre fachlich eine befriedigende Lösung. Das stimmt. Kommt der Duzfreund Mayer-Vorfelders, ist die Chance groß, dass das Team besser und erfolgreicher spielt.

Volker Finke ist ein Gegensatz. Er ist als ehemaliger Held der Linken natürlich kein Freund von Mayer-Vorfelder. Und auch kein Freund von Leo Kirch. Natürlich kann man sich und ihn fragen, warum ausgerechnet er mit erfolgreichem Fußball Kirchs Geschäfte retten sollte. Allerdings ist Finke derzeit in Urlaub und für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Andererseits ist er genau jener Typus Fußballtrainer, der jene „Modernisierung“ erstens verkörpert und zweitens fachlich umzusetzen weiß, die kein Geringerer als der Fußballexperte Gerhard Schröder längst gefordert hat. Der Bundeskanzler kann schließlich nicht alles selbst machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen