Mehr Stütze naht

Bundesverfassungsgericht rügt Tricks bei der Berechnung von Arbeitslosen- und Krankengeld. Betroffene können ab 2001 mit mehr Geld rechnen

FREIBURG taz ■ Arbeitslose und Langzeitkranke können mit höheren Leistungen rechnen. In einem gestern bekannt gemachten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die Regelungen zur Berechnung von Arbeitslosen- und Krankengeld sowie anderer Lohnersatzleistungen für verfassungswidrig erklärt.

Konkret ging es um die allzu einseitige Berücksichtigung bestimmter „Einmalzahlungen“ des Arbeitgebers. So wurden Weihnachts- und Urlaubsgeld bisher zwar bei der Beitragszahlung für Kranken- und Arbeitslosenversicherung in Rechnung gestellt. Bei der Höhe von Kranken- und Arbeitslosengeld spielten die Einmalzahlungen allerdings keine Rolle. Karlsruhe sah darin einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Arbeitnehmer würden hier umso mehr benachteiligt, je höher der Anteil von Einmalzahlungen an ihrem Arbeitseinkommen war.

Dieser Beschluss kommt nicht überraschend. Schon 1995 hat das Bundesverfassungsgericht eine fast identische Entscheidung getroffen. Die Kohl-Regierung versuchte jedoch das Gericht auszutricksen. So beschloss der Bundestag 1996 eine Neuregelung, die aber praktisch alles beim Alten ließ. Mehrere Sozialgerichte baten daraufhin das Verfassungsgericht um erneute Prüfung der Rechtslage.

Jetzt ist also wieder der Bundestag gefragt. Bis zum Juni 2001 muss er eine Neuregelung beschließen. Formal hat das Verfassungsgericht dabei offen gelassen, ob die Schieflage auf der Beitragsseite oder auf der Leistungsseite zu beseitigen ist. Weil es für die Sozialkassen unter dem Strich jedoch günstiger ist, wird allgemein mit einer Erhöhung von Arbeitslosen- und Krankengeld gerechnet. Karlsruhe hat angedeutet, dass es eine Anhebung der Leistungen um 10 Prozent für angemessen hält. Nur der CSU-Sozialexperte Johannes Singhammer kritisierte, dass damit neue „Anreize“ für die Arbeitslosigkeit gegeben würden. Er forderte stattdessen, die Beiträge zur Sozialversicherung zu senken.

Arbeitsminister Walter Riester (SPD) kündigte eine Neuregelung bereits bis zum Jahreswechsel an. Im Haushalt für das Jahr 2001 hat er schon zwei Milliarden Mark hierfür bereitgestellt. Riester begrüßte das Urteil, mit der eine „Erblast der alten Bundesregierung“ beseitigt werde. Im Karlsruher Verfahren hatte allerdings auch sein Ministerium die angegriffene Regelung als „verfassungsgemäß“ verteidigt.

Nachzahlungen für die Zeit ab 1997 wird es nur in geringem Umfang geben. Hiermit kann nur rechnen, wer seinen Arbeitslosen- oder Krankengeldbescheid nicht rechtskräftig werden ließ. (Az. BvL 1/98 u. a.)

CHRISTIAN RATH