Babyspeck, Bierbauch, die Sau raus

Ihre Musik lebt von der Frustration des Mittelklassekids, der Langeweile einer sozial abgesichterten Hängerexistenz: Die norwegische Hardrock-Band Gluecifer hat endlich den Hammer gefunden und zeigt ihn uns heute im Knaack

Irgendwo auf dem Weg zwischen Babyspeck und Bierbauch sind die fünf von Gluecifer dereinst stecken geblieben. Im Jahre 1994 beschlossen sie, genervt von den Weicheiern, die sich mit melodischem Punkrock in die Charts schleimten, jetzt mal selber eine Band aufzumachen, um rauszukriegen, wo denn der berühmte Hammer hängt. Nun muss man konstatieren: Sie haben ihn gefunden. Auf ihrem dritten Album „Tender Is The Savage“ gelingt es den Mannen aus Oslo erstmals, ihre schon immer berüchtigten Live-Qualitäten adäquat auf Platte zu pressen.

Bereits der Opener „I Got A War“, der auch als aktuelle Single fungiert, ist ein kurz-knackiges Stück Hardrock, wie er heutzutage eigentlich nicht mehr gespielt wird. Ein eingängig gebellter Refrain, ein knüppelndes Schlagzeug, absolut kein Firlefanz und vor allem die Gitarren: keine Soundspielchen, einfach geradeaus gespielt, nichts Überflüssiges, einfach nur der zeitlose Klang elektrischer Gitarren.

Als einziger Luxus steht eine zehn Meter hohe Wand aus Marshall-Verstärkern zur Debatte. Aber: Ganz altmodisch entstammt die Musik von Gluecifer der Frustration des Mittelklassekids, der Langeweile einer halbwegs sozial abgesicherten Hängerexistenz. Samstagabend die Sau rauslassen, Hooliganism mit Gitarren. Obwohl sie es finanziell nicht mehr nötig hatten, arbeitete das Quintett lange noch weiter in seinen bürgerlichen Berufen. Noch heute legen die Endzwanziger darauf Wert, ein herzlich spießiges Leben zu führen. Um solche Authentizitätsprobleme zu überwinden, hilft es, dass Sänger Biff Malibu einerseits so trocken nölen kann wie Greg Gaffin von Bad Religion, andererseits in der Lage ist, genauso düster zu knödeln wie Glenn Danzig. Und er Songs schreibt übers Nägelkauen, übers Saufen und den guten alten Rock’n’Roll. Das Erwachsenste, was da textlich verarbeitet wird, ist noch der Hass auf die Ex-Freundin.

Immerhin haben sie sich das eigentlich unvermeidliche Lied über Autos verkniffen. Man müsse sich, erzählt Malibu in Interviews, ja wenigstens ein paar Klischees noch für später aufheben. Gluecifer suchen nicht den Mittelweg zwischen AC/DC und Motörhead, zwischen den Dead Boys und Radio Birdman und – die dürfen natürlich nicht fehlen – den Stooges und MC 5. Nein, die nehmen alle ihre Helden und kochen sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ein. Das Ergebnis könnte man Poppunk nennen oder Hardpop, es ist auf jeden Fall die Essenz all dessen, was an Rock’n’Roll mal großartig war. Dass das, was sie machen, seit Anfang der 50er gemacht wird, wissen sie selbst, und es ist ihnen scheißegal. Wer also keine Lust mehr hat, noch mal zehn Jahre auf das neue Guns-’n’-Roses-Album zu warten (soll’s ja geben), wer AC/DC seit Bon Scotts Abgang für überflüssig hält (also eigentlich alle), wer glaubt, dass sich alle Motörhead-Platten gleich anhören (und gerade das gut findet), und wer in den 80ern auf australischen Rock, auf die Hitmen, Lime Spiders, New Christs und die Saints (aber ausdrücklich nur die allererste Platte) stand, alle die sind hier genau richtig. THOMAS WINKLER

Heute Abend ab 21 Uhr im Knaack, Greifswalder Str. 221, Prenzlauer Berg