Frauenverstümmelung

Früherkennung und Behandlung von Zellveränderungen am Gebärmutterhals erweckt bei Frauen zunehmend Misstrauen. Bessere Standards könnten Tausende von Eingriffen vemeiden

von BETTINA RECKTOR

Inkompetente Abstrichentnahme, falsche Befundungen und vorschnelle Eingriffe führen in Deutschland bei jährlich Tausenden von Frauen zu irreparablen Verletzungen des Gebärmutterhalses. Das Fehlen verbindlicher Qualitätsstandards in diesen Bereichen ist auch mit Ursache dafür, dass die Bundesrepublik hinsichtlich der Erkrankungsrate bei Gebärmutterhalskrebs in Westeuropa an dritter Stelle steht. Denn trotz Vorsorgeuntersuchung erkranken bei uns jährlich circa 5.800 Frauen an Gebärmutterhalskrebs.

Ein Missstand, der bei uns Tradition zu haben scheint. Als zum Beispiel Anfang der Siebzigerjahre in Deutschland die Befundung des Abstrichs am Gebärmutterhals als vergütete Leistung in die Krebsvorsorge integriert wurde, bestanden bundesweit keinerlei gesetzliche Regelungen, welche Weiterbildung von zytologisch tätigen ÄrztInnen hierfür zu absolvieren sei. Zwar war es möglich, durch die „Deutsche Gesellschaft für Zytologie“ freiwillig eine Prüfung abzulegen, doch hatte es keinerlei Konsequenzen, wenn sich etwa GynäkologInnen auch ohne Kompetenznachweis an die Befundungen machten.

Mehr oder minder qualifiziert, doch mit größtem Enthusiasmus, konnten sich jetzt Hinz und Kunz auf diese neue Pfründe stürzen, sodass sich schließlich die Verantwortlichen genötigt sahen, durch Errichtung eines bestimmten Qualitätsstandards eine Verbesserung der Situation herbeizuführen. Den bis dahin zytologisch tätigen Ärzten wurde 1992 also die Auflage erteilt, bis Ende 1996 eine kleine Prüfung abzulegen, das heißt innerhalb von etwa vier Stunden zwanzig vorsortierte Präparate zu begutachten.

Doch längst nicht alle zytologisch tätigen Ärzte kamen dieser Aufforderung nach. In Berlin erschienen beispielsweise von den damals 187 zytologisch zugelassenen Ärzten 107 gar nicht erst zur Prüfung oder prozessierten. Abzüglich jener zytologischen Altrechtsinhaber, die durch die Prüfung fielen, blieben letztlich ganze 77 Personen übrig.

Zwar ist ihre Zahl in Berlin inzwischen auf 86 gestiegen, doch sind die enorm vielen Befundungen nicht ohne Unterstützung durch qualifizierte Zytologie-AssistentInnen zu bewältigen. So fallen allein bei der Krebsvorsorge jährlich etwa 920.000 Abstriche an. Aber die Zahl an qualifizierten Fachkräften ist arg im Schwinden, denn von den insgesamt acht Zytologieschulen, die es 1996 in Deutschland noch gab, wurden mittlerweile fünf geschlossen. Die Folge: Jährlich treten nur noch etwa dreißig ZytologieassistentInnen neu auf den gynäkologischen Markt. Bei etwa 14 Millionen Frauen, die in Deutschland jährlich zur Krebsvorsorge gehen, ein skandalöser Zustand.

Doch es kommt noch schlimmer. Denn um die Überbelastung der GynäkologInnen und anderen zytologisch tätigen Ärzte aufzufangen, werden quasi in der Ecke angelernte Arzthelferinnen und Hilfskräfte mit der Vorbefundung der Abstriche betraut. Auch ist offenes Geheimnis, dass die Präparate durch ganz Deutschland geschickt und von ZytologieassistentInnen in Heimarbeit vorgemustert werden. Eine Kontrolle ist somit kaum noch möglich. Bekannt ist ebenfalls, dass entgegen einer Leitlinie der Bundesärztekammer von 1993, die eine maximale Vormusterungsleistung von 60 bis 80 Präparaten pro Achtstundentag empfiehlt, vor allem freie Labor-MitarbeiterInnen bis zu 120 und weit mehr Zellabstriche innerhalb dieser Zeit durchziehen. Zudem erhöht sich das Gehalt vieler ZytoassistentInnen proportional zur Anzahl untersuchter Präparate. Mit dem Ergebnis, dass auch durch „Akkordarbeit“ falsche Ergebnisse geliefert werden.

Nach offiziellen Angaben werden in den Laboratorien auf Grund falscher Entnahmetechnik, falscher Interpretation oder schwieriger klinischer Befunde in bis zu 20 Prozent der Fälle Krebs und Krebsvorstufen des Gebärmutterhalses schlicht nicht erkannt. Neuere Studien sprechen sogar von bis zu 75 Prozent.

Eine andere weithin bekannte Ursache für die hohe Fehlerrate ist die Grenze der Abstrich-Methode. So bleiben an herkömmlichen Abstrichinstrumenten – wie dem in Deutschland vornehmlich verwendeten Wattestäbchen – 80 Prozent der Zellen kleben, sodass Ausmaß und Schweregrad von Zellveränderungen zumeist gar nicht festgestellt werden können. Würden zum Beispiel Spezialbürsten dafür eingesetzt, könnte die Fehlerquote drastisch gesenkt werden.

Ebenfalls bekannt ist, dass das Erkennen veränderten Zellgewebes am Gebärmutterhals mit einem Auflichtmikroskop signifikant verbessert wird. Doch da vor allem die Frauenheilkundler in den alten Bundesländern zumeist nicht das erforderliche Wissen im Umgang mit diesem Gerät besitzen, wird sie bei uns kaum – und dann oft noch falsch – praktiziert. Ein Zustand, der von K. Ulrich Petry, Gynäkologe an der Frauenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, schlicht als „Katastrophe“ bewertet wird, „da operative Verstümmelungen des Gebärmutterhalses von jährlich Tausenden von Frauen durch professionelle Abklärung auffälliger Abstriche vermieden werden könnten“.

Als Ende der Achtzigerjahre solche Missstände in den USA bekannt wurden, reagierte dort die Regierung umgehend mit dem „Clinical Laboratory Improvement Act“ (CLIA 1988). Nach diesem Gesetz dürfen nur noch Personen mit entsprechend hochqualifizierter Ausbildung, staatlicher Anerkennung und zum Teil regelmäßiger Nachprüfung zytologische Diagnosen durchführen. Mit dem Erfolg, dass die Morbiditätsraten und Todesfälle schlagartig zurückgingen.

Wie es scheint, sind die in Deutschland Verantwortlichen an einer qualitativen Veränderung aber überhaupt nicht interessiert. Denn durch exaktere Diagnosen gäbe es weniger zu behandelnde Frauen – und weniger Profit durch Wiederholungsabstriche und -befundungen, invasive Eingriffe und Operationen an Gebärmutterhals und -körper. Für die Kliniken würden weniger Assistentenstellen bewilligt, und weniger Klinikchefs könnten aus vollen Krankenhausbetten Vorteil ziehen.