Merchandising & Generation Tim

Seine erste Tim-Serie sollte Hergé später peinlich sein – allerdings mehr der unsauberen Zeichnungen als der platten Botschaft wegen. Lange kursierte „Tim im Lande der Sowjets“ (1929) deswegen nur als Raubdruck, erst 1973 wurde es neu aufgelegt. Nichtsdestotrotz gilt dieses Abenteuer als Geburtsstunde des Tollenträgers und Reporters, der folglich im Februar 1999 siebzig Jahre alt wurde. Hergés „Ligne Claire“ genannter Zeichenstil machte Schule; noch heute wird er von jüngeren Zeichnern wie Joost Swarte, Yves Chaland und Ted Benoit zitiert.

Einer klaren Linie unterliegt heute auch das Merchandising um die „Tim & Struppi“-Figuren, das die Hergé-Stiftung der Witwe des Zeichners koordiniert. Im Sinne des Schöpfers setzt man auf ein puristisches Marketingkonzept, das die Aura des Werks vor inflationärer Weiterverwertung schützen soll. Dieses Konzept hat allerdings einen Haken: Seidenkrawatten mit Comicmotiv und teure Gipsmodelle, wie man sie in erlesenen Tintin-Shops kaufen kann, bedienen eher die Nachfrage von Nostalgikern und Sammlern, als dass sie junge Fans begeistern. Fast jeder zweite Franzose hat zu Hause mindestens ein Tintin-Album liegen, doch die Hefte werden heute eher von den Eltern an die Kinder weitergereicht, als dass diese von sich aus auf den Comic-Helden aufmerksam werden. Es könnte also gut sein, dass die Generation Tim irgendwann keine Fortsetzung mehr findet – so wie mit Hergés Tod 1983 dessen Oeuvre endete, obschon es viele seiner Mitarbeiter gerne fortgeführt hätten. Selbst das unvollendete Manuskript von „Tim und die Alpha-Kunst“ wurde später nur als Fragment veröffentlicht.

Stattdessen nahmen die byzantinischen Ränkespiele um die Rechte am künstlerischen Erbe des Zeichners kein Ende. Auch ein Grund, warum die Hergé-Stiftung als Nachlassverwalter keine offiziellen Feierlichkeiten anberaumte. Vielmehr sorgen andere für Ersatzereignisse: Der deutsche Carlsen Verlag etwa bringt derzeit eine zwanzigbändige Hergé-Gesamtedition heraus, die bis Ende dieses Jahres komplett sein soll. Sämtliche Tim-Folgen und Seitenprojekte wie die drei Geschichten um „Jo, Jette & Jocko“, die Hergé in den Vierzigerjahren entwickelte, weil sein Verleger sich eine ordentliche Comicfamilie wünschte, sie alle wurden in dicke Umschläge gepackt und mit erläuternden Kommentaren versehen. Besonders genau sind die allerdings nicht ausgefallen, gerade was den historischen Hintergrund angeht; für eine kritische Lektüre empfiehlt sich deshalb die Hergé-Biografie von Pierre Assouline, die 1996 erschien, aber bisher nur auf Französisch vorliegt.

In Frankreich und Belgien füllt die Comicliteratur Regale. Einen umfassenden Bestand besitzt die Bibliothek des Musée de la Bande Dessinée in Brüssel: 20, rue des Sables, Telefon: (00 32) 22 19 19 80. Solange es noch kein Hergé-Museum gibt, wie es die Stiftung plant, ist die Dauerausstellung des Comicmuseums die erste Adresse für alle Tintin-Leser.

DANIEL BAX