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Problem: Stehpinkler

■ Mit „Von Ma(i)l zu Ma(i)l“ feierte im Packhaus-Theater eine Sommerkomödie Uraufführung, die ein entsetzter Rezensent inmitten eines vor Freude berstenden Publikums über sich ergehen lassen musste

Nina hat ein Problem: Stefan pinkelt im Sitzen, Knut pinkelt im Stehen. Wen nun soll sie heiraten, den Stehpisser oder den Sitzpinkler? Das sind Geschichten, die humorige Zeitgenossen wie der Hamburger Frank Pinkus für irrsinnig komisch halten. Was niemanden weiter kümmern müsste. Wenn Frank Pinkus nicht im Hauptberuf Autor wäre – und damit einer jener potentiell lästigen Menschen, die ungehindert selbst nichtigste Einfälle zu abendfüllenden Komödien auswalzen dürfen. Pinkus Idee, rund um eine zwischen zwei unterschiedlich urinierenden Männern hin- und hergerissene Frau ein Boulevardstück zu entwickeln, mündete schließlich in der Komödie „Von Ma(i)l zu Ma(i)l, die nun im Packhaus-Theater seine Uraufführung feierte.

Speziell für das SchauspielerInnenduo Heidi Jürgens und Stefan Schneider hatte Pinkus das Stück geschrieben. Die Frage, ob das nun als besondere Ehrerbietung an Bremens bekanntestes Komödienschauspielerpaar zu werten ist oder nicht vielmehr doch als perfide Form der Körperverletzung, war am Ende dieser unvergesslich drögen 90 Minuten nicht mehr eindeutig zu beantworten.

Zu beneiden waren Jürgens/Schneider jedenfalls nicht. Kein müder Witz, keine abgeschmackte Pointe, kein noch so abgenudeltes Klischee, das das Duo nicht zu spielen gezwungen war. Zumeist heftig grimassierend kämpften sie sich gemeinsam mit dem Dritten im Bunde, Kay Kruppa, durch die hanebüchene Story, die das Regieduo Michael Derda und Andrea Krauledat in Szene gesetzt hatte.

Bringen wir den Plot schnell hinter uns: Über das Internet lernt die Buchhändlerin Nina (Heidi Jürgens) das ungleiche Brüderpaar Knut (Kay Kruppa) und Mark (Stefan Schneider) kennen. Wenn Fußballprofi Knut nicht gerade für Werder Bremen Trikots vollschwitzt, betätigt er sich als Sexathlet. 103 Frauen, die Mark allesamt später trösten durfte, hat der ölige Knut zum Reinrausspiel bewegen können. Auch Fußballfan Nina träumt von wilden S/M-Praktiken mit Knut, verfällt aber mit der Zeit auch dem Charme des Fahrradmechanikers und Profisofties Mark. Der Konflikt ist da: Mark, Knut, beide oder keiner – was soll Nina tun?

Ebensowenig wie der berufsbedingt verpflichtete Rezensent konnte Nina das Naheliegendste tun und fluchtartig das Theater verlassen. Hilfesuchend wendet sie sich am Ende ans Publikum, das per Handzeichen über den Ausgang des Stücks abstimmen darf. Das Volk votierte mit überwältigender Mehrheit für die Bigamie, so dass die fesche Nina weder auf den flotten Knut noch auf den lieben Mark verzichten musste.

Bis zu diesem erlösenden Moment musste man neben dem ein oder anderen Bühnenringkampf, Jojobaölmassagen, einem Fahrradunfall und dem Anblick von viel nackter Männerbrust vor allem jene Längen durchstehen, die diese Szenen miteinander verknüpften. Auf überraschende Wendungen wartet man vergebens. Alles tritt so ein, wie man es schon früh befürchtet. Selbst Pointen, auf die Pinkus dramaturgisch minutenlang zusteuert, entpuppen sich schlussendlich als genau jene müden Witze, vor denen man sich schon zu Beginn der jeweiligen Szene vergeblich in Deckung zu bringen sucht. Wenn dem zunächst ahnungslosen Mark eine Schlange unters Hemd kriecht, sehen wir ihn natürlich bald darauf wie blöd über die Bühne hüpfen. Wenn Knut seinen Kummer in Alkohol tränkt, sagt er bald darauf Wichsy, wenn er Whisky meint. Und wenn Nina mit dem Tunnelphobiker Mark durch den Elbtunnel fährt, passiert eben das, was passiert, wenn man mit einem Tunnelphobiker durch den Elbtunnel fährt.

Immerhin: Wer bis zur Pause durchhält, hat das Gröbste hinter sich. Danach erzeugt der komödienübliche Drive zumindest so viel Tempo, dass die Zeit fehlt, darüber nachzudenken, ob man gerade Zeuge eines passablen oder doch wieder blöden Witzes geworden ist. Das Premierenpublikum jedoch schien durchweg die Probleme des Rezensenten nicht zu teilen. Selbst eine garantiert misslungene Take-That-Parodie Schneiders erzeugte ebenso wie die ebenso witzlose Celine-Dion-Imitation Jürgens' gewaltige Begeisterungsstürme. An Szenenapplaus, permanentem rhythmischem Klatschen und stehenden Ovationen zum Ende mangelte es wahrlich nicht. Beim besten Willen: Ich weiß wirklich nicht warum. Die Konsequenz kann nur eine sein: Nie mehr, großes Indianerehrenwort, werde ich die Premiere einer Sommerkomödie im Packhaus als Rezensent besuchen. Mögen andere das Geheimnis ihres Erfolges ergründen. Franco Zotta

„Von Ma(i)l zu Ma(i)l“ läuft bis zum 31. August täglich außer montags um 20.30 Uhr im Packhaus-Theater (Wüste Stätte 11). Karten gibt es unter Tel.: 32 60 54

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