Kollektivieren, nicht privatisieren!

Die gereifte Persönlichkeit erkennt früher oder später: Klauen ist böse – auch und gerade Fahrräder klauen.Es gibt Auswege wie Vergesellschaftung oder die polizeiliche Beschlagnahmung herrenloser Velos wie jüngst in Cottbus

von OLE SCHULZ

In jüngeren Jahren war das Leben schon einfacher: Wenn man nach einer Party so betrunken war, dass man keine Lust mehr hatte, nach Hause zu laufen, stibitzte man ohne Skrupel einfach das nächstbeste Fahrrad, das unangeschlossen auf der Straße stand. Am morgen wunderte man sich ein bisschen über sich selbst, nachdem man die verrostete Gondel vor der eigenen Tür entdeckt hatte. Schließlich beruhigte man sein Gewissen dadurch, dass man das Fahrrad irgendeinem Bekannten gab, der gerade dringend ein Rad brauchte, weil er so häufig beim Schwarzfahren erwischt worden war, dass er sich nicht mehr in die U-Bahn traute.

Damals hatte man auch keine Probleme damit, einem hektischen Typ auf der Straße ein mit Sicherheit gezocktes, nagelneues Mountainbike für ’nen Fuffi abzukaufen. Manche sind erst zu Fahraddieben geworden aus Wut darüber, dass ihnen selbst so viele Räder entwendet worden waren. Wenn das alle so machen würden, hätte auch jeder ein Fahrrad, sagten sie dann meist. Die Versicherungen würden vom Radklau profitieren, die Händler ebenso, weil immer wieder neue Räder gekauft werden, und der Käufer, indem er sie preiswert bekommt, lautet die Robin-Hood-Theorie des Fahrradklaus.

Bei einigen wird das Hobby jedoch zur Manie: Sie sehen die Stadt dann nur noch unter dem Blickwinkel, wo am meisten Räder rumstehen; auf der Straße ist die Qualität von Fahrradschlössern das Einzige, was sie zu Höchstleistungen anspornt. Auch viele teure Bügelschlösser ließen sich knacken, versichert mir einer, der jahrelang Räder geklaut hat – entweder mit einem Bolzenschneider oder durch „Manipulation“ der Schlösser mit speziellen Dietrichen. Gegenüber einigen fahrradsüchtigen Bekannten, alle nicht älter als Mitte zwanzig, argumentiere ich inzwischen genauso, wie früher meine Eltern mit mir geredet haben: Muss das denn sein? Wenn schon klauen, warum gerade Fahrräder?

Eine schöne Alternative dazu wäre, einfach überall in der Stadt Sammelpunkte für gemeinschaftlich verfügbare Fahrräder aufzubauen. Man holt sich eins in Kreuzberg und gibt es ein paar Stunden später in Prenzlauer Berg wieder ab. Das wäre bestimmt die billigste Variante, um den öffentlichen Personennahverkehr zu fördern. Und es gäbe keine Probleme mehr mit Fahrraddiebstählen.

Fast eine halbe Million Räder werden derweil jährlich in Deutschland geklaut. Nahezu jede Minute wechselt ein Fahrrad „illegal“ seinen Besitzer. Für die Versicherungsunternehmen sind Zweiräder ein Verlustgeschäft. Fahrradklau ist mit Abstand der größte Schadensbereich der Hausratsversicherung – vor allem in den „Ober-Klauzonen“ (Focus) Hamburg und Berlin. Angesichts der hohen Diebstahlquote bietet nur eine Hand voll Versicherer in Deutschland überhaupt eigenständige Fahrradpolicen an. Ansonsten werden Fahrradversicherungen lediglich als Kombipaket mit einer Hausratsversicherung verkauft.

Verbraucherzentralen und die Stiftung Warentest empfehlen, nur bei besonders teuren Rädern eine solch verhältnismäßig teure Zusatzversicherung abzuschließen. Die politischen Reaktionen auf diese Situation muten eher hilflos an: In Berlin zum Beispiel schikaniert man Fahrradfahrer lieber mit verstärkten Straßenverkehrskontrollen (Kasten Seite 35), statt gut ausgestatte und technisch einwandfreie „Stadträder“ zur Verfügung zu stellen.

Die merkwürdigste Idee hatte aber der Cottbusser Polizeioberrat: Er verkündete, er wolle über Nacht alle nicht angeschlossenen Fahrräder einsammeln lassen. Allein die Ankündigung soll in Cottbus zu weniger gestohlenen Rädern geführt haben, was Polizeioberrat Roigk mit den Worten kommentierte: „Die Drohung zeitigte Wirkung.“

In einigen Orten werden zurzeit aber auch schon Konzepte erprobt, die weniger auf Abschreckung als vielmehr auf Vergesellschaftung zielen – „Stadtfahrrad“-Projekte gibt es neben München zum Beispiel auch im Oderbruch. An 15 Stationen kann man hier Fahrräder ausleihen und abgeben. Ähnlich dem Prinzip bei Einkaufswagen müssen nur 5 Mark in einen Schlitz gesteckt werden, um das Fahrradschloss zu öffnen. Allerdings hat „Oderland-Rad“ die gleichen Probleme wie die meisten Stadtfahrrad-Projekte: Der Schwund der Fahrräder ist groß, weil viele die entliehenen Räder im Keller abstellen, statt sie wieder abzugeben – ein weiterer Beweis dafür, dass Revolutionen meistens leider an Faulheit scheitern.