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: Der Buchhändler und Chansonnier Joe Luga hat seine Memoiren geschrieben

In der zweiten Reihe

Berlin-Neu-Westend um 1928. Das Kaufhaus Karstadt verlegt die Zentrale des Konzerns nach Berlin. Vater wird in die Reichshauptstadt versetzt, und die Familie Gaul zieht von der Alster an die Spree. Die Hessenallee vermittelt mit seinen Villen und den Rotdornbäumen am Straßenrand ein wenig großbürgerliches Flair, wie man es aus Hamburg kannte.

Auch die Nachbarschaft im Viertel kann sich sehen lassen: Lilian Harvey lebt hier, gegenüber der neuen Villa Gaul residiert der Opernbuffo Max Hansen mit seiner Lebensgefährtin Lizzi Waldmüller und zeitweilig auch Kurt Weill. Gleich um die Ecke haben sich der Dichter Klabund und die Schauspielerin Carola Neher niedergelassen. Kulturprominenz wohin man blickt, das konnte Joachim Gaul nur gefallen.

Ein halbes Jahrhundert später schreibt Joachim Gaul alias Joe Luga, wie er sich später auf der Bühne nennt, seine Erinnerungen an diese turbulenten, kulturell aufregenden Berliner Jahre vor der Machtübernahme der Nazis nieder. Das Kabarett steht in seiner Blüte, das deutsche Kino boomt, die Theater zwischen Schiffbauerdamm und Nollendorfplatz sind Stadtgespräch – und der heute in Hamburg lebende Luga liefert rührselig seinen Rückblick auf die Jugendjahre mit Wintergarten und Kintopp, mit Grete Weiser, Joseph Schmidt, Gustaf Gründgens und Claire Waldoff.

In Joe Lugas gerade zu seinem 80. Geburtstag erschienenen Autobiographie finden sich eine Überzahl großer, berühmter Namen. Luga, der gelernte Buchhändler, Chansonnier und zeitweilige Betreiber von Kabarett-Bars in Mannheim und Berlin, hat mit vielen von ihnen zusammengearbeitet, ist ihnen bei Auftritten oder bei anderen Gelegenheiten begegnet. All die Berühmten aus Film, Funk und Fernsehen, deren Namen im Buch nur so purzeln – nur dass er selbst immer in der zweiten Reihe stand. So wie er vom Glanz der Großen in den 20er und 30er Jahren berichtet und sich ein wenig in ihrem Scheine sonnt, ist sein Lebensbericht durchgängig aus eben dieser Warte erzählt: Ein Künstler hält Rückschau und blickt auf die große Welt, an der er immer nur am Rande teilhaben durfte.

Joe Lugas Memoiren sind keineswegs larmoyant, vielmehr erzählt er – literarisch eher schlicht, dafür aber mit übersprudelndem Mitteilungsdrang – die Anekdoten seines Lebens. Vom Tingeltangel im Nachkriegsberlin, seinem Fernsehausflug 1979 zum „Klimbim“-Nachfolger, den „Gimmicks“, und von einem Tourneeabenteuer mit dem damals noch fast unbekannten Horst Jankowski.

„Mein Privatleben habe ich immer in den Vordergrund gestellt, oft für ein kurzes Vergnügen“, resümiert Luga. „Dafür bin ich doppelt bestraft worden.“ Denn den Hauptgrund für seine immer wieder stockende und unterbrochene Karriere sieht Luga in seiner zweifachen Verurteilung. Den Krieg überstand er absurder Weise, weil er bei Fronttheatern für die anderen Soldaten in Fummel schlüpfte und als Frauenimitator namens Inge Schlager schmetterte. Während andere Homosexuelle in den KZs den Tod fanden, kam Luga vergleichsweise ungeschoren durch das tausendjährige Reich, sogar das Eiserne Kreuz wurde ihm ans Bühnen-mieder geheftet.

Die wirklichen Probleme mit seinem Schwulsein hatte er erst im Nachkriegsdeutschland. Da wurde ihm nämlich zweimal eine Liaison mit einem Mann zum Verhängnis, und er wurde aufgrund des Antihomosexuellenparagrafen 175 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Ein Engagement in New York konnte er so beispielsweise nicht annehmen, weil ihn die USA als Vorbestraften nicht einreisen ließ. Seine „bedenkenlose Triebhaftigkeit“ und sein „Leichtsinn“, schreibt Luga, habe ihm die Karriere gekostet: „Ich weiß, dass ich beruflich sicher mehr hätte erreichen können, aber ob mich das glücklicher gemacht hät- te ...“ AXEL SCHOCK

Joe Luga: „So bin ich. Bekenntnisse von Inge und Joe“. Himmelstürmer Verlag, Hamburg 2000. 264 Seiten, 29, 80 DMEine gleichnamige CD mit Chansons von Joe Luga erscheint im Verlag Musik Antik, Tel. 0 41 01/40 60 10