Basisgrollen vor grünem Atomparteitag

Der zwischen Atomkonzernen und Bundesregierung ausgehandelte Kompromiss reicht der Berliner Grünen-Basis nicht

Wenn die Basis der Grünen das Thema Atomenergie diskutiert, bleiben die Wollpullis auch mal daheim. Wegen der hohen Temperaturen und der hitzigen Debatte ist das legendäre Kleidungsstück entbehrlich.

Knapp 50 Mitglieder haben sich am Vorabend der Entscheidung auf der Bundesdelegiertenversammlung in Münster über den mit der Energieindustrie ausgehandelten Atomausstieg im Festsaal eines Bundestagsgebäudes versammelt. Die Stimmung ist nicht gerade festlich: aufgebracht, enttäuscht, teilweise gar resignativ.

Das von Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und seinem Staatssekretär und Parteifreund Rainer Baake erzielte Ergebnis der Konsensverhandlungen reicht der Basis nicht. Als „Ausstieg aus dem Ausstieg“ wird der Kompromiss gegeißelt, als „Kapitulation“ – ja gar als „Verrat“. Früher kritisierte der grüne Parteivorstand das Restrisiko der Kernkraftwerke, heute nehme die Partei es selbst in Kauf, so der verständnislose Vorwurf: „Habt ihr denn gar keine Angst mehr vor den Dingern?“

Die internen Fronten sind festgefahren: Ihre historische Chance haben die Grünen verspielt, meinen die Gegner des Kompromisses. „Jetzt oder nie“, finden dagegen die wenigen Befürworter – unter ihnen auch die Berliner Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig: „Machen wir uns doch nichts vor, die starke Anti-Atom-Bewegung von früher gibt es nicht mehr.“ Das Abschalten oder, wie es ein weiterer Befürworter des Kompromisspapiers formuliert, „das langsame Auslaufen“ der Kernenergie müsse daher auf parlamentarischem Weg erkämpft werden. Und dazu braucht die kleine Partei den Koalitionspartner.

Kein Thema lässt sich bei den Grünen mehr debattieren, ohne zwangsläufig auf das Verhältnis zur SPD zu kommen. „Wir haben uns durchgesetzt und dürfen nicht zulassen, dass Bundeskanzler Schöder den Erfolg für sich beansprucht“, meinen die wenigen, die Staatssekretär Baake und Eichstädt-Bohlig an diesem Abend den Rücken stärken. Die erbosten Gegner hingegen bemängeln, die Öko-Partei habe sich nun auch bei ihrer wichtigsten Forderung über den Tisch ziehen lassen. Sie setzen auf das letzte Mittel: die Koalitionsfrage. Schließlich ist der Atomausstieg nicht irgendein Thema der Grünen, sondern das Thema überhaupt: „Nur damit sind wir bekannt geworden, nur damit haben wir die Wahl gewonnen“, sagt Parteimitlied Wilfried Traube.

Im stickigen Festsaal des Bundestagsgebäudes stehen den Kompromissgegnern Sorgenfalten ins Gesicht geschrieben. Von der Debatte bleiben mehr Emotionen denn Argumente. Und eine Ankündigung des Abgeordneten Hartwig Berger, der offenbar mit der Absegnung des Ausstiegs-Kompromisses gerechnet hat: „Ich werde die Atomwirtschaft dann stärker als bisher bekämpfen und erwarte das auch von anderen Grünen.“ DIRK HEMPEL