Winseln der Macht

Sensibilisiert für falsche Töne: Elfriede Jelineks Haider-Monolog in Wien

von CORNELIA NIEDERMEIER

Den Medien, auch den kritischen im Lande Österreich, war die Neuigkeit nur eine Notiz wert: Vor wenigen Wochen trat Johannes Fischer als Leiter der „Zeit im Bild 2 und 3“, zurück, der konkurrenzlosen Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen TV-Monopolisten ORF, die nach Antritt der blau-schwarzen Regierungskoalition durch ihre kritische Berichterstattung aufgefallen waren. Arbeitsüberlastung wurde als Grund genannt. Nachfolger des linken Fischer wurde Roland Androwitzer, ein strammer Rechter.

Zufall? „Der Sprecher“ in Elfriede Jelineks Haider-Monolog „Der Abschied“ sieht es so: „Hasstriefende Zeit im Bild! Lass es dir sagen, das Bild bleibt, die Zeit geht, doch wir sind im Bilde, schon lange, schon immer. [...] Jetzt befinden sich noch drei linke österreichische Journalisten in dieser Zeit und in diesem Zeit-im-Bild-Studio, doch Geduld, die werden auch wieder gehn. Wir werden kommen. Und bleiben.“ Als Elfriede Jelinek die Sätze schrieb, schien die ZiB-Welt noch in Ordnung. Am vergangenen Donnerstag hallten die Worte, hasserfüllt gewinselt von Martin Wuttke, über den Wiener Ballhausplatz.

Vor der Hofburg, zur Linken das Kanzleramt, zur Rechten die Kanzlei des Bundespräsidenten – im eigentlichen Vorhof der Macht also – verlas Martin Wuttke Elfriede Jelineks jüngsten Theatertext: „Das Lebewohl/Les Adieux“, einen Haider-Monolog, der des FPÖ-Führers Rücktritt und Rückkehr nach Kärnten zum Anlass nahm. Als Sprachmaterial verarbeitet Jelinek einen der wenigen privaten Texte Haiders, den er – ein Protokoll seines Abschieds – im März in der Illustrierten News veröffentlich hatte. Das hohle Pathos Haiderscher Selbstglorifizierung verwebt sie mit Passagen aus der „Orestie“ des Aischylos.

Und Wuttke verlas. Obwohl: Verlesen beschreibt Wuttkes Auftritt höchst ungenau. Oben am Rednerpult stand er, sprach, wisperte, greinte, spie er die Sätze ins Mikrofon, jedes Wort ein Hauptdarsteller, als Echo zurückgeworfen von den Wänden der Macht. In die Stille danach entlud sich der Applaus eines begeisterten Publikums.

Trotz der sengenden Hitze, des Feiertags, der Fußball-EM hatten noch einige hundert Interessierte die Gelegenheit wahrgenommen, einen Jelinek-Text theatralisch präsentiert zu kriegen, obwohl die Autorin wenige Tage nach Regierungsantritt der Haider-Partei bekannt gegeben hatte, ihre Texte für Österreichs Bühnen sperren zu wollen. Solche Verbote samt Rückkehr kennt man in Österreich – und doch ist die Sachlage in Jelineks Fall ein wenig komplizierter: Nicht Österreich, sondern den Machthabern wollte Jelinek ihre Sprache entziehen. Und damit einem Umfeld der Hochkultur, dem letztendlich ein affirmativer Repräsentationsgestus innewohnt: „Ich kann ihnen also auch meine Sprache als Objekt des Konsums und auch der Repräsentation (Theater, das ist ja im Allgemeinen ein Ort, wo der Staat sich repräsentiert) nicht länger lassen“, hatte sie damals geschrieben. Was vielen als Auszug aus dem Land klang, erweist sich nun als eine Umsiedlung der Texte in ein adäquateres Umfeld: Der Haider-Monolog wurde öffentlich vorgetragen. Als Veranstalter trat die „Botschaft besorgter Bürgerinnen und Bürger“ auf, die seit Regierungsantritt in einem Zelt gegenüber dem Bundeskanzleramt logiert.

Genau eine Woche zuvor hatte Elfriede Jelinek einen Tag als Schutzherrin in Christoph Schlingensiefs Container verbracht. Den beiden Projekten ist manches gemeinsam: Beide sprechen eine Sprache, die sich von der Regierung nicht zur Repräsentation vereinnahmen lässt. Beide verließen den geschlossenenen Raum eines Theaters und wählten einen Ort direkt im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zudem lassen sich beide Projekte nicht auf simplen Agitprop reduzieren, stellen vielmehr die ästhetisch komplexesten Texturen dar, die gegenwärtig in Österreich zu sehen waren.

Der biedere Realismus eines Burgtheaters wirkt daneben seltsam abgestanden. Zeiten wie diese sensibilisieren für falsche Töne: Schlingensief und Jelinek zählen zu den Hellhörigsten.