Das Kettensägenmassaker

■ Bebauungspläne im Bremer Osten stoßen auf Gegenwehr / Bürgerinitiativen veranstalteten eine „Politische Radtour“ gegen die Bauvorhaben in ihrem Umfeld

„SPD und CDU schlachten die Stadt“. Die großen roten Buchstaben fallen sofort ins Auge. Einsam baumelt das Spruchband zwischen zwei Bäumen über dem Baugelände an der Georg-Bitter-Trasse in Hastedt. Ganz in der Nähe ist eine kleine Gruppe von Radfahrern zu sehen, die sich angeregt unterhält. Es sind die Mitglieder des Bremer Forums für Wohn- und Lebensqualität, die am Samstag zu einer politischen Radtour durch den Bremer Osten geladen hatten. Treffpunkt: Georg-Bitter-Trasse. Denn genau an dieser Stelle beginnen für die Mitglieder des eingetragenen Vereins die großen stadtplanerischen „Schandtaten“ der großen Koalition von SPD und CDU.

Viel Wald und Wiese mussten im März 1999 dem Vorhaben der Stadt weichen, die Georg-Bitter-Straße zu einer neuen – 600 Meter langen und 30 Meter breiten – Verbindungsstraße zwischen Hastedter Heerstraße und Osterdeich auszubauen. Das Ziel: Stader Straße und Fährstraße, die parallel verlaufen, sollen entlastet werden. „Viele ältere Leute, die hier schon lange wohnen, mussten wirklich weinen, als die Kettensäger kamen“, schildert Hiltrud Lübben-Hollmann die Betroffenheit vieler Anwohner.

Nach Ansicht der ersten Vereinsvorsitzenden wird das städtische Planungsrecht bedenkenlos vor die Lebensqualität der Bürger und Bürgerinnen gesetzt. Denn die Klage des Vereins vor dem Oberverwaltungsgericht in Bremen und dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin gegen den Ausbau der Straße scheiterte. In Zukunft wird es keine Wiesenfeste mehr direkt vor der Haustür geben. Auch der jährlich gastierende Caselli-Circus, zu dem freundschaftliche Kontakte bestehen, wird sich einen anderen Platz suchen müssen. Dafür werden eine Reihe von Anwohnern demnächst auf eine 2,5 Meter hohe Lärmschutzmauer schauen können. „Diese Mauer erleben viele hier als brutale Abspaltung von ihrer Stadt“, moniert Lübben-Hollmann.

Per Rad geht es von der Georg-Bitter-Trasse weiter durch den Hemelinger Hafen und das Gewerbegebiet Hemelinger Marsch in die derzeit noch intakte Arberger Marsch. Entspannend ist die Fahrt entlang der grünen Felder. Unendlich weit kann man nach allen Seiten schauen. Doch wie lange noch? „Hier soll eines der größten Gewerbegebiete Norddeutschlands entstehen“, sagt Gisela Lohße-Trommsdorff von der ansässigen Bürgerinitiative „Erhaltung Wesermarsch im Bremer Osten“: „370 Hektar Industrieansiedlungen sind geplant.“

Derzeit sind noch keine definitiven Baupläne vom Senat verabschiedet worden. Doch die Planungen und Verhandlungen laufen, so Lohße-Trommsdorff, auf Hochtouren. Seit Ende 1998 kauft die Bremer Investitionsgesellschaft (BIG) im Namen der Stadt die Arberger Marsch auf. Bereits 75 Prozent des Landes besitzt die BIG. Die Mitglieder der Bürgerinitiative sprechen von „Lockpreisen“, die den Bauern den Verkauf schmackhaft machen. 16 Mark gebe es für den Quadratmeter verkauftes Land. Trotzdem herrscht bei den engagierten BürgerInnen noch die Hoffnung, dass die Pläne an finanziellen Hürden scheitern werden. „Wir hoffen, dass die gesamte Erschließung des Gebietes für Bremen zu teuer ist“, erklärt BI-Mitglied Wolfgang Künning.

Die Fahrt geht weiter nach Os-terholz. Ziel ist der Hof von Claus Aumund-Kopp. Der Landwirt engagiert sich für den Erhalt der Osterholzer Feldmark, für die ebenfalls Bebauungspläne vorliegen. Das Landschaftsschutzgebiet soll in erster Linie als Bauland für junge Familien erschlossen werden. Mit dem zu Grunde gelegten Quadratmeterpreis von 380 Mark findet Aumund-Kopp dieses Vorhaben jedoch völlig absurd. „Das ist viel zu teuer und junge Familien werden dann doch in Niedersachsen bauen“, meint er. Noch ist die Osterholzer Feldmark – bis auf 20 Hektar – in Privatbesitz. Und Aumund-Kopp sowie einige der Nachbarn werden ihr Land und ihre Höfe unter keinen Umständen an die Stadt verkaufen. Zumal Aumund-Kopp von der Landwirtschaft lebt und ihm somit seine Existenzgrundlage entzogen wäre. Doch in letzter Konsequenz besteht natürlich immer die Möglichkeit der Zwangsenteignung, sollte die Stadt tatsächlich an ihren Plänen festhalten.

Tanja Vogt