Durchgefallen in Deutsch: Einbürgerung verweigert

Ein Sprachtest bestimmt über die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft in Deutschland. Nicht reden muss der Anwärter können, sondern Zeitung lesen

Herr und Frau M. haben ihre Sonntagskleider angelegt. Heute kommt’s drauf an. Noch ein prüfender Blick über das Sortiment in ihrem Obst- und Gemüseladen, alles in Ordnung. Herr und Frau M. sind Profis, sie hatten schon in ihrer alten Heimat Sri Lanka einen Gemüsehandel. Das Geschäft in Deutschland läuft gut, sie haben viele Stammkunden, vor allem Deutsche.

Frau M. zieht einen Brief aus der Tasche, als wir uns auf den Weg zum Bürgeramt machen. Das Schreiben ist schon etwas zerknautscht, immer wieder hat sie es hervorgeholt, um sicherzugehen, dass sie den Termin nicht verpasst. „In Ihrer Einbürgerungsangelegenheit bitten wir Sie, sich am 9. 3. um 14 Uhr zwecks Sprachtest im Bürgeramt einzufinden. Mit freundlichen Grüßen.“ Letztes Jahr hat die Familie schon einmal ihre Einbürgerung beantragt. Der 19-jährige Sohn ist inzwischen Deutscher. Die Eltern nicht. Sie sind am schriftlichen Deutschtest gescheitert. Der freundliche Herr vom saarländischen Innenministerium hat sie auf das neue Einbürgerungsgesetz vertröstet. „Dann wird alles einfacher.“

Heute also der zweite Anlauf. Ob ich mitkommen und der Sachbearbeiterin alles noch mal erklären könnte: dass sie fünfzehn Jahre hier sind, ein Geschäft betreiben, ein Vierfamilienhaus gekauft haben, das sie vermieten; dass die beiden Söhne aufs Gymnasium gehen, richtige Cracks in der Schule sind. Als wir in der Amtsstube sitzen, winkt die Sachbearbeiterin ab. Wisse sie alles schon, heute gehe es nur um die Deutschkenntnisse. Herr M. muss vor der Tür warten, als die Beamtin seiner Frau den Text aus der Saarbrücker Zeitung vorlegt. Sie darf sich den Artikel in Ruhe durchlesen, Zeile für Zeile arbeitet sie sich durch, es dauert eine gute Viertelstunde. Währenddessen erklärt mir die Sachbearbeiterin stolz, dass sie sich eigens bemüht habe, einen interessanten Text über ein Ereignis, das nicht länger als ein Vierteljahr zurückliege und in allen Zeitungen war, auszusuchen. Und so schwierig sei der Text ja nicht, das müsse ich doch zugeben. „Na, dann lesen Sie mal vor.“

Langsam liest Frau M., über den Polizistenmord von Bad Hersfeld, die Fahndung, die auf Hochtouren läuft, den Mann, der die Böschung hinuntergerollt ist, das Polizeiauto, das mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf dem Seitenstreifen der Autobahn abgestellt wurde. Sie atmet auf, als sie endlich durch ist. „So, und nun erzählen Sie mir mal in Ihren Worten, was da drin steht“, fordert die Dame vom Amt sie auf. Frau M. angelt hilfesuchend nach dem Zeitungsausschnitt. „Ohne den Text natürlich, das wäre ja sonst zu einfach“, wird sie zurechtgewiesen. Frau M. gibt sich alle Mühe, versucht, die Ereignisse zusammenzubekommen, verhaspelt sich, verwechselt Personen und Daten. Schließlich gibt sie auf.

Dann kommt ihr Mann dran. Dieselbe Prozedur. Doch der ist so aufgeregt, dass er den Text nicht einmal laut vorlesen kann. „Ja, wenn das so ist“, erklärt die Sachbearbeiterin bestimmt, „kann ich nichts mehr für Sie tun. Sie werden verstehen, dass ich in Ihrer Akte vermerken muss, dass Sie den Sprachtest nicht bestanden haben.“ Beschämt sitzen die beiden da, sie haben sich den deutschen Pass anscheinend nicht verdient.

Der besagte Zeitungsartikel liegt inzwischen dem Leiter der Abteilung Deutsch als Fremdsprache an der örtlichen Volkshochschule zur Begutachtung vor. Eine Zumutung sei dieser Text, so seine erste Einschätzung. Grammatik und Vokabular lägen über den geforderten kommunikativen Kompetenzen der Einbürgerungswilligen. Das Textniveau liege mindestens im Bereich der mittleren Zertifikatsprüfung und somit weit über dem, was der saarländische Volkshochschulverband und das Innenministerium in ihren letzten Gesprächen über ein einheitliches Prüfungsverfahren vereinbart hätten. Und ohnehin sei es sehr fraglich, wie die Sachbearbeiterin einer Behörde willkürlich einen Zeitungsartikel herausgreifen und ohne jegliche Kenntnis von Methoden der Sprachstandsüberprüfung dessen Eignung beurteilen, geschweige denn das Prüfungsergebnis einschätzen könne.

Herrn und Frau M. wird dies wenig nützen. Sie werden voraussichtlich in Kürze durch das Innenministerium aufgefordert, sich entweder einer erneuten Prüfung – nunmehr bei der Landesbehörde – zu unterziehen oder einen Deutschkurs zu besuchen und im Anschluss daran eine Zertifikatsprüfung abzulegen. Mit dem Fulltime-Job im Gemüseladen ist das kaum zu vereinbaren.

In Deutschland hat eben jeder für seine Integration selbst zu sorgen, den Pass gibt es am Ende als Belohnung. VERONIKA KABIS-ALAMBA