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: Literatur und Rausch: Bücher über das Schreiben und andere Drogen

Sternhagelvoll

Der kleine Prinz trifft auf einen Säufer, fragt ihn, warum er saufe, und erhält die Antwort: „Um zu vergessen.“ – „Um was zu vergessen?“, fragt der kleine Prinz. „Dass ich mich schäme“, sagt der Säufer. „Weshalb schämst du dich?“, fragt der kleine Prinz, und der Säufer antwortet: „Weil ich saufe.“ Das katastrophale Dilemma von Alkoholikern ist vielleicht nirgends präziser auf den Punkt gebracht worden als in dieser Passage aus Antoine de Saint-Exupérys Erzählung. Sie findet sich neben vielen anderen Texten über Räusche, Ekstasen und Kater in der von Tilman Spreckelsen edierten Anthologie „Sternhagelvoll“.

Nun ist Alkohol aber nicht nur der leberzirrhoseerzeugende Dämon, sondern er hat immer auch schon als Muse funktioniert. „Schnaps“, so der amerikanische Psychiater Donald W. Goodwin in seiner gar nicht nüchternen, sondern hochgradig unterhaltsamen Studie „Alkohol & Autor“, „hat in den Lebensläufen der modernen amerikanischen Autoren eine mindestens so zentrale Rolle gespielt wie Begabung, Geld oder Frauen.“ Goodwins Ausgangsfrage lautet, ob literarisches Talent und Alkoholismus womöglich dieselben Wurzeln haben. Und Goodwin kommt bei der Analyse von acht alkoholischen Schriftstellern der Moderne, von Poe über Hemingway bis Lowry, zu dem Befund, dass Schriftsteller wie Alkoholiker Einzelgänger sind: Schreiben und Trinken als zwei Arten also, „nicht allein sein zu müssen“. Schreiben ist Fantasie, Alkohol fördert sie. Dass er sie auch zerstören kann, sei der gesundheitspolitischen Korrektheit halber nicht unterschlagen.

Ronald K. Siegel, ebenfalls amerikanischer Psychiater, begreift in seinem Standardwerk „Rauschdrogen – Sehnsucht nach dem künstlichen Paradies“ das in der Menschheitsgeschichte chronische Rauschverlangen als Primärbedürfnis, vergleichbar dem nach Nahrung und Sex. Und auch Siegel liefert Belege dafür, dass insbesondere die Erfahrungsmuster halluzinogener Räusche strukturelle Ähnlichkeiten mit dem aufweisen, was man in Kunst und Literatur als Zustand der Intuition bezeichnet. „Die inneren Landschaften“, so Siegel, die durch Drogen „erleuchtet werden, sind bei allen Menschen auf der Welt gleich. Es gibt eine Harmonie, die uns alle verbindet, von der kulturellen Wahl der Drogen bis zu den geometrischen Mustern in den von ihnen erzeugten Rauschwelten.“ Aus dieser Erkenntnis zieht Siegel übrigens den bemerkenswerten Schluss, dass zur Beendigung des weltweiten Drogenkriegs in Zukunft „vernünftige“ Rauschdrogen zu erfinden und zugänglich zu machen seien, deren Konsum medizinisch unbedenklich ist.

William S. Burroughs’ autobiografischer Bericht „Junkie“, der jetzt als Taschenbuch neu aufgelegt worden ist, dürfte nach wie vor die authentischste Darstellung über die absurde Logistik der Drogenbeschaffung und die Höllenqualen des kalten Entzugs sein – ebenjene düsteren Seiten des Rauschbedürfnisses, die Ronald Siegel aus der Welt schaffen möchte. Burroughs spritzte, rauchte Opiate und Marihuana, nahm Kokain in großen Mengen: „Ich habe“, heißt es in „Junkie“, „die Gleichung des Opiats gelernt. Opiat ist nicht wie Alkohol oder Marihuana nur ein Mittel, um die Freude am Leben zu steigern. Opiat ist kein Rausch, es ist eine Lebensweise“ – und zwar eine Lebensweise, die „nicht auf der gesprochenen Mitteilung, sondern auf Intuition und Emotion basiert.“ Die Beziehung zwischen Literatur und Rausch liegt in dieser Konstruktion auf der Hand – auf einer Hand freilich, die sich bereits zum nächsten Schuss verkrampfen muss.

„Statt die Fackel der Literatur mit leuchtender Flamme am Brennen zu erhalten, hatte ich es zugelassen, dass sie von den grünen Nebeln dieses narkotisierenden Zeitvertreibs gedämpft, wenn nicht sogar erstickt worden war. Die scharfe Klinge, die andere Männer der Feder durch Whisky stumpf werden ließen, war mir verrostet ...“ Mit diesen Worten beschreibt John Updike eine sehr viel gesündere, offenbar aber dem Schreiben weniger zuträgliche Sucht. Es geht ums Golfspiel, und Golf, so Updike in seinen Glossen und Essays mit dem Titel „Golfträume“, „ist ein Trip. Als nicht chemisches Halluzinogen zerlegt Golf den menschlichen Körper in seltsam gedehnte, kaum noch verbundene Einzelteile.“ Vielleicht ist es an der Zeit, Entziehungskuren für Alkoholiker als Golfkurse stattfinden zu lassen. Aber was wird dann aus den Golfsüchtigen? Zurück an die Theke? KLAUS MODICK

Tilman Spreckelsen (Hg.): „Sternhagelvoll“. Aufbau TB, 240 Seiten, 16,90 DMDonald W. Goodwin: „Alkohol & Autor“. Suhrkamp Taschenbuch, 336 Seiten, 18,90 DMWilliam S. Burroughs: „Junkie“. rororo, 186 Seiten, 14,90 DMRonald K. Siegel: „Rauschdrogen“. rororo, 365 Seiten, 24,90 DMJohn Updike: „Golfträume“. rororo, 250 Seiten, 16,90 DM