piwik no script img

Notstand über Molukken verhängt

Auf den indonesischen Molukken eskaliert die Gewalt zwischen Christen und Muslimen und fordert weitere Tote. Präsident Abdurrahman Wahid will die Verhängung des Kriegsrechts vermeiden und greift zum Strohhalm des zivilen Notstands

aus Bangkok JUTTA LIETSCH

Angst und Verzweiflung beherrschen die Stadt Ambon auf den indonesischen Molukken: Seit dem Wiederaufflackern der Kämpfe zwischen Christen und Muslimen vor sechs Tagen sind mindestens 60 Menschen ums Leben gekommen. Häuser brennen, Gewehrfeuer erschüttert immer mehr Stadtviertel, berichteten Bewohner Ambons gestern am Telefon. Tausende flohen in die Hügel, die den Ort umgeben.

Die indonesische Regierung verhängte am Wochenende den „zivilen Notstand“, der unter anderem Hausdurchsuchungen nach Waffen erlaubt. Bewohner Ambons reagierten allerdings skeptisch: „Wer soll das denn durchsetzen?“, fragte der Mitarbeiter einer kirchlichen Hilfsorganisation. „Hier ist alle Autorität zusammengebrochen. Weder die zivile Regierung noch das Militär sind fähig, die Gewalt zu beenden.“ Die Armee hatte in den letzten Tagen mehrfach die Verhängung des Kriegsrechts über die Molukken gefordert, was Präsident Abdurrahman Wahid bislang jedoch ablehnt. Am Wochenende stoppte die Marine zehn Schiffe, die Waffen auf die Molukken bringen wollten.

Christliche und muslimische Geistliche sandten in den letzten Tagen dramatische Hilferufe an die Regierung in Jakarta und an die internationale Öffentlichkeit. Der Erzbischof von Ambon, Joseph Tethol, forderte die UNO in einem Brief an Generalsekretär Kofi Annan zur Intervention auf. Ein Sprecher des indonesischen Außenministeriums lehnte eine Einmischung von außen jedoch ab.

Das christliche Hative-Hospital der Provinzhauptstadt war am Wochenende ebenfalls Opfer einer Attacke muslimischer Banden. Patienten und Pflegepersonal konnten offenbar vorher evakuiert werden. In den Tagen zuvor sollen zwei Moscheen angezündet worden sein. In besonders gefährdeten Stadtteilen sind nur noch einige junge Männer zurückgeblieben, um ihre Häuser zu schützen, berichtet der Journalist Alto Tabatun. „Die meisten Wohnungen sind verlassen, weil wir uns nicht mehr schützen können.“ Er selbst habe seine Familie in ein Viertel geschickt, das noch sicher schien.

Anfang vergangener Woche hatten muslimische Milizen ein überwiegend christliches Dorf auf der Insel Halmahera im Norden der Molukken überfallen und mindestens 130 Menschen ermordet. Aus Rache attackierten darauf Christen in Ambon einen muslimischen Bezirk. Seitdem eskaliert die Gewalt.

Begonnen hatten die Unruhen vor 18 Monaten, als die Wut christlicher Bewohner gegenüber der wachsenden Zahl muslimischer Zuwanderer explodierte. Inzwischen ist aus dem sozialen Konflikt um Land, Fischereirechte und Jobs in der Regierung ein Krieg zwischen Christen und Muslimen geworden, der bislang über 3.000 Opfer forderte. Die Gewalt hat die ohnehin hohe Arbeitslosigkeit weiter steigen lassen auf nach Zeitungsberichten mittlerweile über 50 Prozent.

Muslimische Politiker und Militärs in Jakarta heizten den Konflikt immer wieder an, indem sie einen „heiligen Krieg“ zum Schutz ihrer Glaubensbrüder ausriefen und bewaffnete „Jihad-Kämpfer“ aus Java auf die Molukken entsandten. Nach dem Massaker von Halmahera konnten die Angreifer, die einer in der Nähe von Jakarta ausgebildeten „Laskar-Jihad-Miliz“ angehörten, unbehelligt auf eine Nachbarinsel zurückkehren, wo sie ein Camp aufgeschlagen haben. Kein Anführer dieser Milizen ist bislang festgenommen worden.

Präsident Wahid hatte am Wochenende angeordnet, alle „Fremden“ von den Molukken fernzuhalten. Er beschuldigte „reiche Personen“ in Jakarta, die Gewalt zu schüren. Er nannte aber keine Namen. Verteidigungsminister Juwono Sudarsono hatte zuvor, auch ohne konkret zu werden, Politiker des früheren Suharto-Regimes bezichtigt, hinter den Unruhen zu stecken. Dies solle die Regierung Wahids destabilisieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen