kikkerballen
: Gesucht wird ein kluger Pokémon-Trainer

Aquaknarre und Psychokinese

Schande, Ehre, Scham und Würde: Das klingt schon viel erbaulicher als Adduktorenzerrung, Laktatwert und Viererkette. Auch im vermeintlich größten Versagen bewahrt der deutsche Fußball seine tiefere Funktion als Feuchtbiotop der Pfui-Wörter. Die Frage nach Sieg oder Niederlage entpuppt sich als Brunnenkresse am Steak der deutschen Befindlichkeit, und das hätten wir aber wieder mal gerne urtümlich roh, blutig, eben englisch. Mit den Füßen zu formulieren, was das aktuelle Teutonentum der Welt über sich zu verkünden hat, ist der Truppe ebenso gut gelungen wie Frontmann Ribbeck auf Ribbeck im Schwafelland: Wir sind wieder wer – anderes, nämlich.

Lump Lothar vorweg: Wer will schon Weltspieler, Torschützenkönig oder sonst was Mühseliges werden, wenn man schon vor dem ersten Ballkontakt als ältester Spieler des Turniers eine ganz sichere Meldung einlocht? Und Deisler, der in drei Spielen drei Jahre Ricken zusammenfasste. Von „verheißungsvoll“ bis „mit mir spielt ja doch keiner“. Dann das deutsche Mittelfeld, genialisch besetzt – Andreas „nach sieben Minuten fang ich an, an den Stutzen zu nesteln und den Schiri anzumosern“. Möller und Stefan „ich mobb den Trainer, und dann bleib ich trotzdem zu Hause“ Effenberg – beide auf ihrer Lieblingsposition als vierzeilige Bild-Meldung; das hatte Klasse. Selbst Oliver Kahn ließ sich da gern Haltbares an den Stollen vorbeiglitschen, und Carsten „habt doch bitte bitte Angst vor mir, dann will ich auch ganz lieb sein“ Jancker ließ sich vom Rest der Truppe hochreißen.

„Vor diesen Deutschen muss niemand Angst haben!“, schmollten Kommentare, nicht ahnend, dass hier die frohe Botschaft zum Lichte drängt: Was war das für eine alberne Truppe! Hätte der Stadionsprecher nur einmal mitgespielt und verkündet, dass es bei Karstadt Grillsets jetzt günstiger gibt, die Abordnung der fortgeschrittenen deutschen Schnäppchenmarktwirtschaft hätte geschlossen den Rasen verlassen. Mag ja sein, dass einige englische Spieler 90 Minuten am Stück Nazischmähungen auf den Gegner prasseln ließen – die wahre Größe Deutschlands besteht in der gelassenen Gegenreaktion: Na gut, dann verlieren wir eben; Hauptsache, das macht jetzt steuerlich am Jahresende nicht so einen großen Nachteil.

Über den in dieser zentralen Hinsicht würdigen Auftritt der deutschen EM-Vertretung lässt sich mindestens so viel meinen, schreiben, senden, kommentieren und eben labern wie über jedes erfolgreichere Abschneiden. Auch der Spiegel räumt neun vordere Seiten frei, um den Pudding an die Wand zu nageln. Mit nur drei Auftritten hat die DFB-Botschaft damit auch ein Maß an Effizienz erreicht, das früher viele Wochen, Spiele, Tore und Dramen kostete. Das virtuose Agieren des Trainers, die Aufstellung willkürlich, orientierungs- und vollständig sinnlos hin- und herzuwürfeln, umschmückte die eiserne Konsequenz, jedenfalls niemanden aufzustellen, der zu den sieben Millionen nichtblutsdeutschen Deutschen zählte. So rinkt und ringt man der Bild-Zeitung ein Bekenntnis zur türkischen Nationalmannschaft ab; da können sich alle Multikultis ein Scheibchen abschneiden. Ließe sich diese Form stabilisieren, bretzelt sich auch der Kicker anlässlich der nächsten Damen-EM zur Kickerin auf. Jetzt nicht nachlassen.

Nun räsonieren wir wieder über Straßenfußball, Wollknäuel und Coladosen: den Armutskick, der frühere Erfolge fundierte und den ehrlich gesagt ja doch keine Sau noch mal erleiden müssen möchte. Verzweifelt die Bemühungen der Grünen, Deutschland endlich wieder voll kriegsfähig zu machen, nur weil Sepp Herberger damals auf eine Kerntruppe setzte, die sich aus dem Kriegsgefangenenlager kannte. Auch die -ulskis, -owskis und -inskis – Arbeitsimmigranten aus dem europäischen Osten, die den deutschen Fußball schon einmal zur Blüte führten, kommen nicht wieder. Ihre legitimen Nachfolger, die Türken eben, sind schon wieder weg und spielen nicht fürs Stiefvaterland.

Schließlich ist auch der aufstrebenden Blüte unseres Landes damit die nötige Wegweisung gegeben: Scholl kann nicht „Aquaknarre“ und Ziege nicht „Psychokinese“. Ganz billige Pokémon, die man ruhig wegtauschen kann. Wenn man ein kluger Pokémon-Trainer ist. Und Trainer sind wir nach dieser brillanten Performance doch endlich wieder alle.

FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH