Jacques und Joschka gründen Pioniergruppe

Frankreich und Deutschland sollen die Avantgarde der EU sein. Dafür spricht sich der französische Präsident Chirac vor dem Bundestag aus und greift damit einen Gedanken von Joschka Fischer auf

BERLIN taz ■ Europa hat seit gestern zwei junge Pioniere. In einer Rede vor dem Bundestag sprach sich der französische Präsident Jacques Chirac für die Bildung einer Gruppe besonders integrationswilliger EU-Staaten aus. Deutschland und Frankreich sollten dabei die „Pioniere“ der EU sein. Die Gruppe solle aber allen Mitgliedstaaten offen stehen.

Bereits im kommenden Jahr sollte die Pionier-Gruppe eine bessere Koordinierung der Wirtschaftspolitik, die Stärkung der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie eine größere Effizienz bei der Bekämpfung der Kriminalität in Angriff nehmen. Chirac nahm damit den Gedanken von Außenminister Joschka Fischer auf, der in seiner Europa-Rede an der Humboldt-Universität in Berlin für ein Gravitationszentrum besonders integrierungswilliger EU-Staaten geworben hatte. Chirac, der als erstes ausländisches Staatsoberhaupt im neuen Reichstag sprach, warnte jedoch vor einem „europäischen Superstaat“. Damit wies er auch Fischers Vorstellungen von einer europäischen Föderation zurück.

Chirac befürwortete ausdrücklich die Erweiterung der Union, warnte aber vor einer Aufweichung. Er schlug vor, nach dem EU-Gipfel in Nizza im Dezember die institutionellen Reformen voranzutreiben. Dabei solle auch über die künftigen geographischen Grenzen einer erweiterten Europäischen Union nachgedacht werden. In zwei bis drei Jahren könnten die EU-Mitglieder eine europäische Verfassung erarbeiten. Frankreich übernimmt am 1. Juli für ein halbes Jahr die europäische Ratspräsidentschaft.

Mehrfach betonte Chirac die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Paris und Berlin: „Damit das europäische Aufbauwerk vorankommt, müssen wir zunächst die deutsch-französische Freundschaft weiter vertiefen und ihr vielleicht sogar einen neuen Impuls verleihen.“ Die Normalität als Folge der Aussöhnung habe den Elan der Anfangsjahre verblassen lassen. Chirac unterstützte ausdrücklich die deutsche Forderung nach einem ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat.

Außenminister Fischer sagte nach Chiracs Rede, es gebe „große Gemeinsamkeiten“ zwischen Deutschland und Frankreich in der Europapolitik. Ein Sprecher des britischen Premierministers Tony Blair betonte dagegen, dass Großbritannien ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ ablehne. NM

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