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Wahlkampf à la mexicana: Schnulzen und Maisfladen bei den Regierenden. Smoking und Sombrero bei den Rechtsliberalen. Ein Hahn bei den Linken

aus Mexiko-StadtANNE HUFFSCHMID

„Wähle PRI“ ist dieser Tage kein sonderlich origineller Slogan. Originell jedoch ist immerhin die Platzierung: auf den muskulösen Hinterbacken fünf junger Männer. An die 5.000 Frauen klatschen Beifall, einige kichern nervös, die meisten lachen begeistert. Der Auftritt der „Sexy Boys“ in dem Tanzsalon, den die Revolutionär-Institutionelle Regierungspartei (PRI) für ihre Wahlkampagne angemietet hat, sei ein „ganz besonderes Geschenk“ zum Muttertag, erklärt die Veranstalterin, eine gedrungene Frau namens Guadalupe Buendia Torres, auch La Loba, die Wölfin, genannt. Zwei Stunden lang tanzen die gut gebauten Stripper mit und ohne Tanga auf den Tischen. Die Damen aber wollen es offenbar doch genauer wissen: „Ausziehen, Ausziehen!“ Gemeint ist der Sohn von La Loba, ein Landtagsabgeordneter im Estado de Mexico, dem östlich an die Hauptstadt angrenzenden Bundesstaat. Und der Anwärter auf ein Mandat im Bundesparlament nimmt die Herausforderung an. Die Kleider wolle er aber nur ablegen, sagt er am Mikrofon, „wenn eure Stimme mir und dem Präsidentschaftskandidaten Francisco Labastida zum Sieg verholfen hat“. Dieses „neuartige System der Wahlwerbung“, wie die Wochenzeitschrift Proceso höhnt, stößt bei der Parteispitze auf gewisses Befremden. Wenn Herr Buendia sich unbedingt entkleiden wolle, so der lokale PRI-Vorsitzende pikiert, so solle er dies bitte schön „nicht im Namen der Partei“ tun. „Das ist nicht unser Stil.“

Regierung altbewährt

Ganz altvertraut gibt sich die Partei dafür bei ihrer Schlusskundgebung auf dem Zocalo, dem riesigen Platz inmitten der kolonialen Altstadt von Mexiko-Stadt. Die Nebenstraßen sind verstopft von den Bussen, die die Teilnehmer herangekarrt haben. Schon seit dem Morgengrauen lagern viele unter Decken auf den Bürgersteigen, gefüllte Maisfladen und heißer Kakao werden verteilt. Bald füllt sich der Platz mit PRI-Mützchen und Labastida-T-Shirts. An einer Ecke stehen die Eisenbahner, die dem Kandidaten mit lokomotivartigen Pfeifkonzerten ihren Tribut zollen, in der anderen die Bauern. Gegenüber sind die Müllsammler und Straßenverkäufer platziert, sogar eine Abordnung von Straßenjungen wedelt mit PRI-Wimpeln. In seiner Ansprache beschränkt sich Francisco Labastida auf das Wesentliche: „Wir werden gewinnen“ ist in gerade mal 17 Minuten 13 mal zu vernehmen. Angesichts der Umfragetendenzen, die erstmals den Sieg der seit 71 Jahren regierenden Staatspartei gefährdet erscheinen lassen, klingt das beschwörend. „Dieser Palast hat schon einen Besitzer“, schickt der kleingewachsene Schnurbartträger dafür unmissverständlich hinterher und weist auf den ockerfarbenen Kolonialbau. „Er gehört dem Volk.“ Nur Skeptiker werden zwischen beiden Sätzen die winzige Pause vernommen haben.

Francisco Labastida, der 57-jährige Betriebswirt hat eine typische Politkarriere à la mexicana hinter sich. In über 30 Jahren hat er sich vom Gouverneur zum Agrar- und Innenminister hochgearbeitet. Der Versuch, sich mit dem zweideutigen Slogan „Für eine Macht, die den Leuten dient“ dennoch als Repräsentant einer „neuen PRI“ zu verkaufen, ist fehlgeschlagen. Auch an diesem Vormittag greift die „erneuerte“ Partei zu altbewährten Methoden. Bevor sie wieder in die Busse steigen, werden die Anwesenden mit Wasserflaschen und Lunchpaketen versorgt. Und einer der beliebtesten Schnulzenstars des Landes, Juan Gabriel, bringt ihnen zum Abschied noch ein Gratisständchen. Doch manche sind durchaus „von ganzem Herzen“ gekommen, wie eine ältere Indigena sagt. „Wissen Sie, wir sind das halt so gewöhnt“, meint die Frau in dem ausgeblichenen Tuch. Vor allem unter den Ärmsten und den Älteren, denen ohne Bildung und Aufstiegschancen, hat die Staatspartei ihre treueste Anhängerschaft. Dazu zählt sich auch Frederico Sanchez, einer der Wahlhelfer der PRI. Es sei wie beim Fußball, sagt er, „Sie würden ihrem Team doch auch in schlechten Zeiten die Treue halten, oder?“

Zumindest in der Hauptstadt könnten die Zeiten kaum schlechter sein. Schon vor drei Jahren hat die Regierungspartei hier das Bürgermeisteramt an die linkssozialdemokratische Partei der Demokratischen Revolution (PRD) verloren. Und den Umfragen gemäß wollen fast die Hälfte der capitalinos diesmal wieder für die Linke stimmen. „Die Leute stimmen halt nicht notwendig für die beste Option“, meint resigniert der PRI-Vorsitzende der Stadt, Oscar Levin.

Resignation ist ein Fremdwort für die Fox-Anhänger auf dem Zocalo. Man feiert die Schlussveranstaltung des „Vicente“, Präsidentschaftskandidat der rechtsliberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und aussichtsreichster Herausforderer der Staatspartei. Aus einem Meer von blauweißen Fähnchen ragen tausende von orangefarbenen Schaumstoffhänden, die Finger überlebensgroß zum Sieges-V gespreizt. Zu lesen ist: „Ya“, es reicht. Und: „Ya ganamos“, wir haben schon gewonnen. Viele junge Gesichter sind unter den Anwesenden, manche haben sich einen Stiefel – das inoffizielle Logo des Cowboy-Politikers – auf die Wange gepinselt. Wenig dunkle Haut und fast gar keine Armen sind zu sehen. Als „Fest der Mittelschichten“ wird die Kundgebung später von manchem Reporter tituliert.

Auffällig viele Frauen sind auf dem Platz. Wie das, wo Vicente Fox doch als Macho gilt? Maria Carmen Varela, eine Endvierzigerin mit goldener Fox-Brosche am Revers, lacht. „Wir wollen ihn ja nicht mit nach Hause nehmen“, sagt sie, es gehe doch vielmehr um „die menschlichen Werte“, die er verkörpere. Gegen die PRI war sie schon immer, und der von PRI-Aussteigern gegründeten Linkspartei traut sie nicht über den Weg.

Auf der Bühne kommt eine Hommage auf „unser magisches Mexiko“ zur Aufführung: eine skurrile Revue aus bildschönen Frauen und Männern in blütenweißen Roben, mit Federschmuck und bunten Röcken, mit Smoking und Sombrero. Als Ehrengäste treten Bündnispartner und Überläufer aus anderen Lagern auf. Darunter ist auch Hector Castillo, Sohn eines der prominensten Linkspolitiker des Landes, der seine Exgenossen dazu aufruft, am 2. Juli diesmal nicht den PRD-Kandidaten Cuauhtemoc Cardenas – dem höchstens zwanzig Prozent der Wählerstimmen prophezeit werden –, sondern Fox zu wählen. „Warum sollten wir die Nacht noch um weitere sechs Jahre verlängern?“ Es dämmert. Und endlich ist er da, „der nächste Präsident Mexikos“. Unter ohrenbetäubendem Jubel tritt „Vicente“ ans Pult, die Gürtelschnalle mit dem Fox-Emblem diesmal dezent unter dem dunklen Zweireiher verborgen. Um Inhalte geht es schon längst nicht mehr. „Ich bin hier, weil ich Mexiko liebe“, sagt Fox. Konfettikanonen und Feuerwerk und Schluss.

Opposition uneinig

Am nächsten Morgen hat der Zocalo erneut die Farbe gewechselt. Nun ist die steinerne Plattform in ein schwarzgelbes Meer getaucht, die Farben der Linken. Sonnenblumen, Halstücher und Transparente, besonders Kecke tragen knallgelbe Perücken. Es ist wie bei den foxistas: Dieselbe Wut auf die PRI, dieselbe inbrünstige Verehrung für ihren Kandidaten, nur diesmal für „Cuauhtemoc“. Aber es sind andere Menschen: arme Leute, „gente brava“, kämpferische Aktivisten aus den Kiezen und unabhängigen Gewerkschaften, dazwischen Studenten und vereinzelt graumelierte Intellektuelle. So etwas wie Trotz macht sich in der Menge breit, die ihre Galionsfigur, den Sohn des populärsten Präsidenten der Republik, Lazaro Cardenas, schon bei den zwei verlorenen Kandidaturen von 1988 und 1994 angefeuert hatte. „Fox ist ein Lügner“, ruft ein junger Mann und schwenkt die Nationalfahne. Auch Cardenas gibt sich unversöhnlich. Nachdem er eine Dreiviertelstunde lang minutiös auflistet, was er für die Frauen und die Armen, gegen Korruption und ausländische Einmischung zu tun gedenkt, nennt er den Konkurrenten einen „Betrüger“, „Opportunisten“ und gar ein „Wahlverbrecher“ – eine Anspielung auf den von der PRI lancierten Vorwurf, dass der Konservative Fox einen Großteil seiner Kampagne aus dem Ausland bezahlen lasse.

Eine Revue und ein Feuerwerk gibt es nicht. Dafür wird aus dem Publikum Cardenas, dem schlacksigen Mittsechziger, ein Hahn gereicht. Erst zögerlich, dann lächelnd hält Cardenas das zappelnde Tier mit beiden Händen in die Höhe. „Nuestro gallo“, unser Hahn, heißt in Mexiko soviel wie „unser Favorit“.

Auch wenn Computerabstürze oder Urnenklau heute so gut wie ausgeschlossen sind und auch die Verstorbenen nicht mehr wählen dürfen: die über 71 Jahre bewährte Wahlmaschinerie läuft wieder rund. Zahlreichen Berichten zufolge werden campesinos allerorten mit Maissäcken und Düngemittel bestochen. Auch in der Stadt ziehen Heerscharen von Wahlhelfern von Haus zu Haus, um Geschenke zu verteilen und Listen zu erstellen, in denen sich die Unterzeichnenden „verpflichten“, am Stichtag ihr Kreuz an der richtigen Stelle zu machen.

Doch nur noch wenige Regierungstreue geben sich so gelassen wie der greise Boss des staatlichen Gewerkschaftsverbandes, Leonardo Rodriguez Alcaine. Ob er wirklich glaube, dass die PRI noch einmal gewinnen könne? „Ich glaube das nicht“, grinst der smarte Weißhaarige die Reporter an, „ich garantiere Ihnen das.“