Helga Schaub

Die Lehrerin für Mathematik und Physik

Als die Wende kam, war Helga Schaub (45) Berufsschullehrerin an der Landwirtschaftsschule in Berlin-Weißensee. Sie unterrichtete Automatisierung, die Lehrlinge waren angehende Zootierpfleger, Gärtner, Blumenbinder, Fleischer und Edelpilzzüchter. Heute ist sie Lehrerin für Physik und Mathematik an der Gesamtschule Weißensee, nur zweihundert Meter von ihrem früheren Arbeitsplatz entfernt. Blumenbinder heißen heute Floristen, Edelpilze heißen Champignons, das Fach Automatisierung gibt es nicht mehr.

„Wir sind vom Regen in die Traufe gekommen“, sagt Helga Schaub. „Früher wurde vor der Partei gebuckelt, heute buckeln die Leute vor ihrem Arbeitgeber, weil sie Angst um ihre Jobs haben. Wo ist sie denn, die große Freiheit, wenn man von eins bis drei Mittagsruhe halten muss, wenn es keine Spätverkaufsstellen gibt wie in der DDR, wenn der Friseur nicht mehr von 6 bis 22 Uhr geöffnet hat?“ Wo ist die Leistungsgesellschaft, wenn es Subventionen gibt für Steinkohle West, aber nicht für Braunkohle Ost? Wenn immer der als Erster entlassen wird, der als Letzter eingestellt wurde? „Auch im Westen“, sagt Schaub, „sind die Leute angepasst und machen sich’s bequem.“

Die Brandenburgerin, die in Magdeburg studiert und gelebt hat, bevor sie 1987 nach Berlin kam, ist nicht der Typ, es sich bequem zu machen. Ihr Mann, Chef einer kleinen Baufirma, brachte sie zur LDPD, heute FDP – „sonst hätte ich mich sicher bei Bündnis 90/Die Grünen engagiert“. Heute ist die Mutter zweier erwachsener Töchter Vizechefin des Arbeitskreises Frauenpolitik der FDP, stellvertretende Landesvorsitzende der Liberalen Frauen und sitzt in deren Bundesvorstand. Daneben ist sie Frauenvertreterin an ihrer Schule.

„Die Wende“, sagt sie, „das war wie nach dem Krieg, für viele ging es ganz von vorn los. Die materiellen Dinge hat jeder innerhalb von acht Wochen begriffen: Was kostet das Brot, was die Butter? Bei Aldi ist es am billigsten.“ Preise vergleichen, Sonderangebote nutzen, zusammenhalten. Wer es so hielt, kam gut klar. „Als DDR-Bürger“, sagt sie, „war man ja gewohnt, immer zu schauen: Wo gibt es was?, hatte gelernt, Scheiße zu Bonbons zu machen.“

Das DDR-System sei durchsichtiger gewesen. „Wenn man die Regeln der Diktatur begriffen hatte, fand man seine Nische. Es ging nicht ums Geld, man konnte mit seinen Alu-Chips ja nichts kaufen. Es ging um Beziehungen. Man ging mit dem Friseurmeister essen, schob zweitausend Mark rüber und hatte eine Lehrstelle. Heute gibt es das auch wieder. Nur eben mit Westgeld.“