Ein russischer Reader’s Digest

In der Bücherstadt Wünsdorf wird „MiR“, eine neue russische Zeitschrift, gemacht: Die Macher des Blattes setzen statt auf Sponsoren und Anzeigen auf die Gunst der Leser. Die interessieren sich vorwiegend für Autos, Gesundheit und Recht

Sie machen eine Zeitschrift, die sie selbst gern lesen würden: Ein Journal, das die deutsche Seele in russischer Sprache ergründet. Im Jüdischen Kulturverein wurde am Donnerstagabend die Zeitschrift MiR vorgestellt. „Mir“, das russische Wort für Welt, Frieden und Dorfgemeinschaft, steht gleichzeitig für die Abkürzung des deutschen Titels: Medien in Russisch. In der Vermittlung zwischen russisch- und deutschsprachiger Welt liegt auch der Sinn des Unternehmens.

Geschäftsführer Wladimir Sokolow, ehemals Journalist, Redakteur und Korrespondent in Kasachstan, macht mit einem Team fester und freier Autoren ein Journal, dessen Aufmachung dem Spiegel oder der Newsweek ähnelt. Was sich aber zwischen den Umschlagblättern befindet, ist aus den wichtigsten deutschen Wochen- und Tageszeitungen, auch der taz, übernommen, nur vereinzelt finden sich Nachrichten aus dem russischsprachigen Raum oder Israel.

RedakteurInnen und ÜbersetzerInnen durchforsten den deutschen Blätterwald nach geeigneten Artikeln und Informationen, in erster Linie über Deutschland. Dahinter verbirgt sich die Überzeugung, dass nur hiesige Journalisten wirklich kenntnisreich Themen aus Deutschland vermitteln können.

Die meisten der Leser von MiR sind der deutschen Sprache nur bis zu einem gewissen Grad mächtig, und vielleicht hilft dem einen oder anderen die Zeitschrift, um irgendwann deutschsprachige Zeitungen zu lesen. So sagte die Redakteurin und Übersetzerin Olga Fedianina bei der Präsentation, dass in jeder Idee schon ihr eigenes Ende stecke: Wenn die Lesehilfe, die MiR bietet, überflüssig werde, müsse die Zeitschrift mehr Artikel eigener Autoren drucken.

Doch das ist eher unwahrscheinlich. Unter den Spätaussiedlern und Kontingentflüchtlingen gibt es viele Ältere, die eine Perfektion der deutschen Sprache nicht mehr erreichen werden. Ihnen soll mit MiR etwas von dem Alltagsstress bei Behördengängen genommen werden. An den 18 Rubriken der Zeitschrift ist deutlich zu erkennen, was sich der Interessenwelt der „Russen“ am schnellsten erschließt. Lebensnahe Aspekte wie „Auto“ und „Gesundheit“ sind in den bisherigen acht Ausgaben stärker vertreten als „Kultur“. Großer Bedarf besteht auch am Thema „Recht“.

MiR wird in ganz Deutschland vertrieben. Hergestellt werden die 20.000 Exemplare in Wünsdorf, der ehemaligen Militärstadt südlich von Berlin, die mittlerweile zur Bücherstadt avancierte. In Berlin hat sie aber sicher die meisten Leser. Bei der Präsentation hat sich gezeigt, dass das Interesse und der Bedarf da sind, denn die Unzufriedenheit mit den beiden russischen Berliner Zeitungen Ewropazentr und Russkij Berlin ist groß. Letztere ist eine Boulevardzeitung, und Ewropazentr hält sich nach Streichung bundesdeutscher Finanzspritzen nur noch mit Unmengen an Kleinanzeigen und wenig Artikeln über Wasser. Eine dritte Zeitung existierte nur ein Jahr.

Doch das Verhältnis zu anderen Berliner russischen Zeitungen interessiert die Macher von MiR nicht. Sie gehen davon aus, dass die Zahl der etwa 200.000 Leser russischer Zeitungen in Deutschland konstant ist, ändern würden sich nur die Auflagen der einzelnen Blätter.

Derzeit erscheint MiR im Zweiwochenrhythmus, geplant ist jedoch ein wöchentliches Erscheinen. Anzeigen finden sich nur wenige, Sponsoren hat das Magazin nicht. Redakteur Sokolow will solche Abhängigkeiten vermeiden. Lieber hängt er von der Gunst der Leser ab, die 4,50 Mark für ein Exemplar berappen müssen. Doch sein Optimismus ist groß: Er hat einen Kredit mit einer Laufzeit von 15 Jahren aufgenommen.

VIOLA THEUNISSEN