„Wir können nicht mehr aufklären“

Friedbert Pflüger, Mitglied des CDU-Bundesvorstandes, über das Verhältnis seiner Partei zu Helmut Kohl, politische Kampfinstrumente und über den „tragischen Irrtum eines großen Staatsmannes“

Friedbert Pflüger ist Autor des Buches „Ehrenwort – das System Kohl und der Neubeginn“

taz: Wie bewerten Sie den Auftritt Helmut Kohls vor dem Untersuchungsausschuss?

Friedbert Pflüger: Der tragische Irrtum eines großen Staatsmannes. Er darf sein Ehrenwort – also seine persönliche Moral – nicht über Recht und Gesetz stellen. Die Rechtsstaatspartei CDU predigt „Null Toleranz gegenüber Kriminalität“. Man kann nicht Schwarzfahrer und Graffitisprayer bestrafen und schwarze Konten zu einem Kavaliersdelikt erklären. Die Linie Helmut Kohls ist nicht durchzuhalten. Doch trotz dieses Irrtums bleiben seine Verdienste um Deutschland und Europa für mich über jeden Zweifel erhaben.

Sehen Sie eine Chance, dass Helmut Kohl die Namen der Spender doch noch nennt?

Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Durch sein Schweigen bleibt das Damoklesschwert von immer neuen Enthüllungen über uns hängen. Ich glaube die Leute würden ihm verzeihen, auch wenn sich abenteuerliche Spekulationen bewahrheiten sollten. Wenn er gestern alles auf den Tisch gelegt hätte, wären wir jetzt freier, seine enormen Verdienste zu würdigen.

Können Sie sich vorstellen, dass Spender das Handeln der Regierung Kohl beeinflusst haben?

Nein, das kann ich mir immer noch nicht vorstellen. Auch die so genannten Aufklärer sollten sich mit Vorverurteilungen zurückhalten.

Steht die ganze Partei hinter Ihrer Forderung an Helmut Kohl, die Namen zu nennen?

Das Präsidium der CDU hat einen klaren Beschluss dazu einstimmig gefasst. Der Generalsekretär Ruprecht Polenz und die Parteivorsitzende Angela Merkel haben das deutlich unterstrichen.

Halten Sie es für richtig, dass Angela Merkel den innerparteilichen Prozess der Aufklärung für beendet erklärt hat?

Die CDU hat in einem selbstquälerischen und selbstkritischen Prozess unter der Führung von Angela Merkel alles getan, um aufzuklären. Jetzt können wir nicht mehr aufklären. Jetzt sind wir auf Helmut Kohl angewiesen, dass er die Namen nennt.

Sie haben den Untersuchungsausschuss als „Kampfinstrument“ bezeichnet . . .

Er war von Anfang an kein kühler Untersuchungsausschuss, wie man ihn sich wünscht, sondern wurde von allen Seiten als politisches Kampfinstrument benutzt. Herrn Ströbele geht es nicht um die Wahrheit, sondern um ein politisches Spiel. Wir brauchen einen klareren gesetzlichen Rahmen für solche Ausschüsse. Die Frage ist, ob Parteipolitik so dominant sein darf.

War es falsch, dass sich die CDU-Abgeordneten im Ausschuss, wie etwa ihr Obmann Andreas Schmidt, regelmäßig mit Helmut Kohl trafen?

Ja. Ich hätte das nicht gemacht. Aber auch die Telefonate des Ausschussvorsitzenden Neumann mit Karlheinz Schreiber in Kanada, einem möglichen Zeugen, sind problematisch.

Wie war Ihre erste Reaktion auf den Bericht von Sonderermittler Hirsch über die verschwundenen Akten im Kanzleramt?

Ich habe mir erst einmal die Augen gerieben, als ich das gelesen habe. In einem Rechtsstaat, wie ich ihn mir vorstelle, werden bei einem Regierungswechsel Akten übergeben und nicht vernichtet. Das ist völlig unakzeptabel. Das Ausmaß und die Verantwortlichkeit müssen überprüft werden.

Geben Sie unter diesen Umständen einem Neuanfang in der CDU noch eine Chance?

Aber sicher. Der Neuanfang ist deutlich zu greifen. Angela Merkel war die erste, die Kohl kritisiert hat.

INTERVIEW: TINA STADLMAYER